Steuergewerkschaft: Staat gehen jährlich Milliarden verloren

In der Finanzverwaltung fehlen angeblich 15 000 Beamte. Folge: Vor allem die Prüfung von Betrieben werde vernachlässigt.

Berlin. Der Bundesrepublik entgehen nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft jährlich etwa 30 Milliarden Euro Einnahmen, weil in der Finanzverwaltung 15 000 Beamte fehlen. Die Gewerkschaft bezieht sich auf die Personalbedarfsberechnung der Bundesländer, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Experten befürchteten, dass es Steuerhinterzieher künftig leichter haben werden, weil sich die Personalsituation bei den Steuerbehörden in den kommenden Jahren weiter verschlechtern werde.

Die Bundesländer berechnen, wie viele Mitarbeiter nötig wären, um Unternehmen und Steuerzahler gesetzesgemäß zu prüfen. Dieser Personalbedarf beläuft sich nach dem Bericht auf 130 000 Stellen. Tatsächlich seien nach Berechnungen der Steuergewerkschaft, die die Finanzbeamten in Deutschland vertritt, aber nur etwa 115 000 Stellen besetzt. "Kein Bundesland erfüllt derzeit den tatsächlichen Bedarf", sagte Gewerkschaftschef Dieter Ondracek.

Vor allem die Prüfung von Betrieben wird dem Zeitungsbericht zufolge vernachlässigt. So fehlten nach Angaben der Gewerkschaft Verdi allein 3050 Betriebsprüfer und 420 Steuerfahnder. Vor allem Kleinbetriebe und Einzelunternehmer, deren Zahl sich in den vergangenen 20 Jahren stark erhöht hat, müssten seltener mit dem Besuch eines Prüfers rechnen. Die Finanzbeamten im Außendienst seien besonders effektiv: Im Schnitt treibe ein Steuerfahnder jährlich knapp eine Million Euro zusätzlich ein. Bei einem Betriebsprüfer seien es gut 1,2 Millionen Euro.

Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) warf Union und FDP mangelnde Entschlossenheit beim Kampf gegen Steuerbetrüger vor, die ihr Geld unversteuert im Ausland verstecken. Die Menschen würden sich längst fragen: "Will der Staat wirklich für mehr Steuerehrlichkeit sorgen?", sagte Kühl. Zur Wahrung der Steuergerechtigkeit müsse der Staat "alle rechtsstaatlichen Ermittlungsmöglichkeiten nutzen".

Derweil wurde bekannt, dass das Bundesfinanzministerium millionenfach Meldungen deutscher Anleger über ihre ausländischen Zinseinkünfte nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet hat. Grund für diesen Missstand seien in den vergangenen Jahren Verzögerungen bei der computergestützten Auswertung gewesen. Einen entsprechenden Bericht der "Wirtschaftswoche" bestätigte das Ministerium am Wochenende. Mit den angekauften Steuersünder-Daten seien diese Informationen aber nicht zu vergleichen, da das EU-weite Mitteilungsverfahren für Zinseinkünfte bereits für Steuerehrlichkeit sorge. Mittlerweile stünden die Daten den Finanzbehörden der Länder zur Verfügung.

Insgesamt seien sieben Millionen Meldungen liegen geblieben, wie die "Wirtschaftswoche" aus einem Bericht des Bundesrechnungshofes zitiert. Es gehe um Zinszahlungen im zweistelligen Milliardenbereich. Wie viel davon ordnungsgemäß versteuert wurde, sei unbekannt. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung hatten die EU-Staaten und einige Drittländer 2005 die EU-Zinsrichtlinie beschlossen. Sie verpflichtet Banken, Zinserträge von Ausländern automatisch den Finanzbehörden des Heimatstaates zu melden.