US-Wahlen: „It's the economy, stupid“
Weniger als zwei Jahre nach Barack Obamas historischem Wahlsieg stehen die USA vor der nächsten politischen Wende. Dass es bei den am 2. November stattfindenden Kongresswahlen erneut zu einer Kräfteverschiebung auf den Kapitolshügel kommen wird erscheint sicher. Unklar ist nur, wie resolut der Durchmarsch der republikanischen Opposition sein wird und welche Folgen für den schwer angeschlagenen Präsidenten zu erwarten sind.
Washington. Es ist garnicht so lange her, dass der Hoffnungsträger Obama als Fahnenträger einer neuen Generation junger, dynamischer und durchsetzungsstarker Demokraten gefeiert wurde, die das Land dringend brauchte, um Amerika von den Fesseln einer historischen Finanzkrise und Weltrezession zu befreien. "Change has come", "Wandel is gekommen", lautete der Schlachtruf des Himmelsstürmers Obama, der einen souveränen Erdrutschsieg gegen den republikanischen Kandidaten John McCain feierte und es verstand, mit bewegenden Reden die angeknackste Volkspsyche wieder aufzurichten und den Wählern neue Hoffnung einzuflößen.
Mit der Rückendeckung überragender demokratischer Mehrheiten konnte der neue Präsident die meisten Gesetzesinitiativen problemlos in beiden Kongresskammern durchsetzen. Zu den wichtigsten zählte das 800 Mrd. Dollar teure Konjunkturprogramm, das mit einer Kombination aus staatlich finanzierten Ausgabenprogrammen und Steuernachlässen der brachliegenden Wirtschaft neues Leben einhauchen sollte. Für kurze Zeit kam Hoffnung auf. Banken drehten zaghaft den Geldhahn auf, die Wachstumsrate zog wieder an, und ein gutes Dreivierteljahr nach Obamas Amtseinführung war die Rezession "offiziell" überwunden.
Doch zwischenzeitlich ist der Optimismus längst wieder verflogen. Mehr als 15 Millionen jobsuchende Amerikaner sind ohne Arbeit. Die Konjunkturprognosen wurden wieder deutlich nach unten korrigiert. In der breiten Bevölkerung machen sich Verzweiflung und Resignation breit. Von jenen Meldungen über neue US-Todesopfer in Afghanistan, Korruption innerhalb der Regierung von Präsident Hamid Karzai oder Probleme bei der Neutralisierung der Taliban, die noch vor einem halben Jahr die Schlagzeilen beherrschten, wird kaum noch Notiz genommen. Auch der Kampf gegen den Terror scheint vor dem Hintergrund einer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft für die meisten nur zweite Geige zu spielen.
Wie auch vor 18 Jahren brachte es James Carville, der legendäre Berater von ex-Präsident Bill Clinton auf den Punkt. "It's the economy, stupid." Wenn die Wirtschaft im Eimer steckt, meint Carville auch heute noch, dann zählt nichts anderes, und für die miserable Konjunktur müssen jene geradestehen, die in Washington an den Schalthebeln der Macht sitzen: Obama und seine Parteifreunde im Kongress. Wie aus einer Statistik der unabhängigen Website www.realclearpolitics.com hervorgeht, die unabhängige Stimmen und Umfragen aus allen politischen Lagern zusammenfasst, sind nur noch 44 Prozent der Amerikaner mit der Amtsleistung des Präsidenten zufrieden. Noch schlechtere Noten bekommt lediglich der Kongress, der nach Ansicht von fast 80 Prozent der Wähler versagt hat.
Eine Rekordquote. Kein Wunder also, dass am 2. November die Mehrheitsverhältnisse wieder kippen könnten. Im Senat, wo 34 der insgesamt 100 Mitglieder neu gewählt werden, liegen die Demokraten mit 59 zu 41 Stimmen vorn. Einbußen wird es geben, daran besteht kein Zweifel. Doch eine weiterhin hauchdünne Mehrheit gilt als sicher. Anders aber im Repräsentantenhaus, wo sich eine dramatische Wende abzeichnet. Derzeit beherrschen die Demokraten mit 255 zu 178 Mandaten das Unterhaus souverän, werden aber in genau zwei Wochen aller Voraussicht nach in die Rolle einer deutlich geschwächten Opposition wechseln. Doch welche Schuld trägt Obama, und was kann er noch machen, um bis zum Wahltag das Ruder zugunsten seiner Parteikollegen herumzureißen?
Während seine schärfsten Kritiker unter den Republikanern, unter anderem Mitch McConnell und John Boehner, die Fraktionschefs im Senat und Repräsentantenhaus ihm vorwerfen, mit verschwenderischen Ausgabenprogrammen das Loch im Staatshaushalt weiter aufgerissen und nur kurzfristig neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben, verteidigen die Demokraten ihren Präsidenten. Schlimmstenfalls, so der demokratische Stratege Paul Begala, habe der Präsident mit seinen beschwörenden Reden unrealistische Hoffnungen geweckt.
"An einen Messias, und so war er während des Wahlkampfs schließlich aufgetreten, hat man hohe, wenn auch übertriebene Erwartungen" erklärt Begala. Andere Demokraten, allen voran Obama selbst, schieben den Republikanern die Schuld zu, Die Kriege in Irak und Afghanistan, die der neue Präsident zu einem Abschluss bringen soll, wurden von seinem Vorgänger George W. Bush begonnen. Auch an der desolaten Wirtschaftslage tragen die Republikaner nach Darstellung des Weißen Hauses die Hauptschuld. "Die gefährlichen Exzesse, die zur Preisblase am Häusermarkt, der Fnanzkrise und Weltzrezession führten", so Austan Goolsbee, Obamas Chefvolkswirt, "gehen eindeutig auf das Konto der Opposition, die sich Jahre lang weigerte, die Banken, Hedgefonds und Ratingagenturen schärfer zu überwachen."
Die Wahrheit, darüber sind sich politische Experten einig, liegt wohl irgendwo in der Mitte. Obwohl Bush und die Republikaner mit ihren streng marktwirtschaftlichen Überzeugungen die Weichen stellten für die unbeaufsichtigten Ausschweifungen, habe Obama es versäumt, auf die Kosten und Grenzen der staatlichen Stützungsmaßnahmen hinzuweisen. Dass es zu einem Rekorddefizit im Haushalt kommen würde und die Wirkung der Arbeitsbeschaffungsprogramme verpuffen würde, sobald das Geld aufgebraucht ist, waren beides Risiken, über die der Präsident die Wähler hätte aufklären müssen.
Trotz der düsteren Prognosen für den 2. November gibt sich Obama aber keineswegs geschlagen. Seit Wochen brilliert er bei Wahlkampfauftritten, wo er bei jenen Demokraten, deren Rennen noch auf der Kippe ist, mit packenden Reden die Massen zu begeisterten Ovationen hinreißt. Die Kernbotschaft: Was sein Vorgänger Bush und die Republikaner sich einbrockten müsse seine Regierung nun auslöffeln. Dann versprüht Obama, ein Markenzeichen des begnadeten Wahlkämpfers, wieder großen Optimismus: Sind die Kriege beendet und die Wirtschaftskrise erst ein Mal überwunden, dann werde alles wieder schnell bergauf gehen. Vorausgesetzt natürlich, er bleibt an der Macht und die Demokraten haben auch im Kongress weiterhin das Sagen.
Um die Mehrheit im Repräsententenhaus zu retten, dafür ist es aller Voraussicht nach zu spät. Der Fokus des Präsidenten und der Demokraten konzentriert sich nun darauf, dort den Verlust zu minimieren und wenigstens im Oberhaus die Mehrheit noch so knapp zu behaupten. Sicher ist aber, dass Obama das Regieren nicht leichter fallen wird. Ob es um die höhere Besteuerung Besserverdienender, neue Gesetze zur Förderung erneuerbarer Energien oder die Sozial- und Rentenreform geht, wird der Widerstand in beiden Kongresskammern während der nächsten zwei Amtsjahre des Präsidenten deutlich größer sein.