Verfassungsschutz Rechte sammeln Waffen, Linke schotten sich ab
Analyse | Berlin · Verschwörungstheoretiker, Rechtsterroristen und Islamisten - das hat die Sicherheitsbehörden 2020 in Atem gehalten. Im linken Spektrum sieht der Verfassungsschutz eine neue Entwicklung, die ihm Sorge bereitet.
Rechtsextremisten, die Waffen horten, Islamisten, die Anschläge planen, und gewaltbereite Linksextremisten, die sich in kleinen Gruppen abschotten, haben den Verfassungsschutz in diesem Jahr stark beschäftigt. Über die „Querdenker“ hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) noch kein abschließendes Urteil gebildet, wie der Präsident der Kölner Behörde, Thomas Haldenwang, im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erläutert. Vom Rechtsextremismus gehe derzeit die größte Gefahr aus. Durch Attentate wie in Dresden oder auf der Berliner Stadtautobahn sei aber auch der islamistische Terrorismus wieder sichtbar geworden.
Auf „Querdenken“ angesprochen, sagt Haldenwang: „Ich habe die Hoffnung, dass diese Bewegung mit ihren Verschwörungstheorien nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder in den Hintergrund verschwindet.“ Eine solche Entwicklung habe es bei der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung gegeben. Diese sei nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen „allmählich in sich zusammengefallen“.
Die „Querdenken“-Initiative hat ihren Ursprung in Stuttgart. Ihre Anhänger gehen seit Monaten gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen auf die Straße. Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hatte jüngst angekündigt, „Querdenken“ im Südwesten zu beobachten.
Auf die Frage, ob dies womöglich bald bundesweit nachvollzogen werde, antwortet der BfV-Chef: „Die einzelnen Querdenken-Initiativen sind sehr heterogen.“ Bei ihren Veranstaltungen seien auch Rechtsextremisten, Reichsbürger, sogenannte Selbstverwalter und „weitere Personen mit verfassungsfeindlichen Einstellungen“ zugegen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe sei dabei, „die Verfassungsschutzrelevanz von Verschwörungstheorien und auch die Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen“ zu betrachten, um zu gegebener Zeit zu einer Einordnung zu kommen.
Im Rechtsextremismus nehme der Verfassungsschutz weiterhin kleine Gruppen wahr, die Waffen sammelten und Vorbereitungen für den sogenannten Tag X träfen. „Die sogenannte Neue Rechte geht sehr geschickt vor“, sagt Haldenwang. „Sie operiert arbeitsteilig, wobei viele Fäden beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda zusammenlaufen.“ Gründer der neurechten Denkfabrik in Sachsen-Anhalt ist der Verleger Götz Kubitschek.
Teil dieses Spektrums sei auch der sogenannte Flügel der AfD, sagt der oberste Verfassungsschützer. Dieses „Personennetzwerk“ habe sich zwar formell aufgelöst, es wirke aber im Hintergrund weiter. Die Anhänger dieser Strömung in der AfD seien zwar inzwischen etwas zurückhaltender in ihren öffentlichen Äußerungen, sagt Haldewand. „Wir können aber auch wahrnehmen, was außerhalb der Öffentlichkeit gesprochen wird.“
Der Verfassungsschutz hat den 2015 vom Thüringer Landeschef Björn Höcke gegründeten „Flügel“ im März zum rechtsextremistischen Beobachtungsfall erklärt. Das bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf - auch Observation und Anwerben von Informanten. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden. Was ein Abgeordneter im Plenum oder in Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen.
Bei der jüngsten Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hat Haldenwang angekündigt, noch im Januar eine Einschätzung zur AfD als Gesamtpartei zu liefern. In der AfD gibt es zwei Denkschulen: zum einen Funktionäre, die mit sprachlicher Mäßigung und Distanz zu rechtsextremistischen Gruppierungen verhindern wollen, dass die ganze Partei auf dem Radar landet, daneben AfD-Politiker wie Höcke und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, die das für sinnlos halten.
Auf die Frage, ob es richtig sei, eine Einschätzung zu einer Partei wenige Monate vor der Bundestagswahl im September öffentlich zu machen, antwortet der Verfassungsschutz-Präsident: „Auch im Vorfeld einer Wahl müssen wir die Öffentlichkeit informieren dürfen, wenn wir verfassungsfeindliche Bestrebungen jeglicher Art wahrnehmen.“ Die Behörde habe den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterrichten. Dies sei „eine der Lehren aus der Weimarer Republik, die ja auch an ihren Parteien gescheitert ist“.
Veränderungen hat der Verfassungsschutz auch im Linksextremismus registriert. Brennende Baukräne und zerschlagene Fensterscheiben von Lokalen, in denen sich Rechtsextremisten treffen, sind da nur eine Facette. Der BfV-Chef erinnert an eine Immobilienmaklerin, die in Leipzig zusammengeschlagen. „Im Linksextremismus gab es Gewalt früher vor allem bei Demonstrationen, das entstand oft spontan und aus der Situation heraus. Das hat sich aber verändert.“ Jetzt bildeten sich auch kleine Gruppen, „die Gewalttaten planen, im Verborgenen operieren und sich auch von anderen Linksextremisten abschotten“.
Beispielsweise würden „Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und dann mit Steinen, Pyrotechnik oder Flaschen beworfen“. Bei den Protesten gegen den Autobahn-Ausbau im Dannenröder Forst in Hessen hätten mutmaßliche Linksextremisten eine Konstruktion aus Baumstämmen zum Einsturz gebracht. Nur durch einen „Hechtsprung“ hätten sich zwei Bundespolizisten in Sicherheit bringen können. In Stuttgart schlugen Linksextremisten dem Verfassungsschutz zufolge einen vermeintlichen Rechtsextremisten am Rande einer Corona-Demonstration zusammen.