Vergewaltigungs-Fall: Ein Urteil spaltet Indien
Der jüngste Angeklagte soll für drei Jahre in Haft. Die Strafe ist viel zu mild, sagen viele Inder.
Neu Delhi. Sechs Männer begehen die selbe bestialische Tat: Sie entführen eine junge Studentin (23) in Indien, vergewaltigen, foltern und ermorden sie. Während fünf am Galgen enden könnten, ist einer bald wieder frei. Ein Jugendgericht in Neu Delhi hat den damals 17-Jährigen des Mordes und der Vergewaltigung schuldig gesprochen. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt — die höchstmögliche Strafe. Der Fall der volljährigen Angeklagten wird separat verhandelt.
Die führende Oppositionspolitikerin Sushma Swaraj erklärte, das sei nicht gerecht, das Jugendstrafrecht müsse geändert werden. Viele Rechtsexperten, die Eltern des Opfers und Tausende Demonstranten, die wochenlang lautstark auf die Straße gingen, fordern auch für den jüngsten der Gruppe die Todesstrafe. Es könne nicht sein, dass das Gesetz einen fast 18-Jährigen mit einem Siebenjährigen gleichsetze, entrüstet sich Anwalt Sukumar. Die geringen Strafen seien ja geradezu eine Einladung an Jugendliche, sich kriminell zu verhalten. Viele im Land sagen, den Tätern solle das Gleiche geschehen, was sie dem Opfer angetan haben. Der Vater des Opfers sagte mit Tränen in den Augen: „Meine Tochter ist tot, und nachdem wir dieses Urteil gehört haben, sind wir auch tot.“ Er kündigte an, die Familie werde weiter für härtere Strafen kämpfen.
1281 Morde und 1316 Vergewaltigungen wurden nach offiziellen Angaben in Indien im vergangenen Jahr von Jugendlichen verübt; die meisten davon von 16- bis 18-Jährigen. Trotzdem sollte die Altersgrenze nicht wieder — wie von vielen Indern gefordert — auf 16 Jahre gesenkt werden, sagt Arlene Manoharan von der juristischen Fakultät der indischen Universität in Bangalore. Vielmehr solle sichergestellt werden, dass die verurteilten Jugendlichen alle Hilfe bekommen, die ihnen zusteht.
Unterstützung bekommt sie von Sozialaktivistin Kavita Srivastata: „Der Kern unseres Justizsystems ist Hilfe zur Besserung und Erziehung. Wie können wir wegen eines Falls diese objektive Sicht jetzt verlieren?“, fragt sie.
Damit trifft sie in Indien auf taube Ohren — erst in der vergangenen Woche erhitzten sich die Gemüter wieder, als bekanntwurde, dass auch bei der jüngsten Gruppenvergewaltigung im Mumbai einer der Beschuldigten ein Jugendlicher war.