Die Silvesternacht von Köln Vergewaltigungsvorwurf: Ermittlungen wider Willen

Zwei junge Frauen berichteten von vollzogenen Vergewaltigungen am Kölner Dom. Anzeigen erstatten sie nicht. Ermittelt wird trotzdem.

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Köln/Aachen. Nachdem Frauke Mahr ausgesagt hatte, waren die Abgeordneten völlig überrascht, einige waren konsterniert, die Abgeordneten hatten mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was Mahr erstmals der Öffentlichkeit erzählte.

Als Zeugin vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht hatte Frauke Mahr ausgesagt, dass sich im Januar zwei junge Frauen beim Kölner Verein „Lobby für Mädchen“ gemeldet hätten, die in der Silvesternacht auf dem Bahnhofsvorplatz gleich am Dom zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden seien. Das war für alle Mitglieder des Untersuchungsausschusses neu, schließlich gibt es keine Besprechung, bevor ein Zeuge aussagt. Und bis zu Mahrs Befragung war es immer nur um Penetrationen gegangen, um in Körperöffnungen eingeführte Finger, doch auf einmal war die Rede von wirklichen Vergewaltigungen.

Diese völlig neue Lage hat nun dazu geführt, dass die Kölner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen hat, und zwar von Amts wegen. Bei einem derart schweren Tatvorwurf wie Vergewaltigung lässt das Gesetz der Staatsanwaltschaft keine Wahl, obwohl die beiden Opfer explizit keine Anzeige erstatten, nicht mit Ermittlern über die Vorgänge sprechen und vor allem anonym bleiben wollten. Doch das ist nun nicht mehr möglich, wie Benedikt Kortz gestern im Gespräch mit unserer Zeitung erklärte, er ist Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln. Das erste der mutmaßlichen Opfer sei bereits identifiziert, die Ermittlungen laufen.

Darüber hatte sich Frauke Mahr in einem Brief an alle Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der unserer Zeitung vorliegt, beschwert. „Wir haben kein Verständnis für den Umgang mit einer Betroffenen, die für sich entschieden hat, keine Anzeige zu erstatten“, schreibt sie unter anderem. Die Koordinatorin der Beratungsstelle war demnach einen Tag nach ihrer Aussage von den Ermittlern vorgeladen worden. Auch die Beraterin, die Kontakt zu einem der Opfer gehabt habe, sei drei Stunden vernommen worden. Eine zweite Beraterin solle ebenfalls vernommen werden.

„Vor dem Hintergrund der Aussagepflicht bin ich in gutem Glauben davon ausgegangen, dass den betroffenen Klientinnen kein Schaden daraus erwachsen könne“, heißt es weiter in Mahrs Brief. Anders als Juristen oder Ärzte dürfen Mitarbeiter von Beratungsstellen die Aussage nicht verweigern. Man habe Verständnis für die Ermittler, doch befinde man sich nun in einer Situation, die das Opfer „absolut nicht wollte“.

Diesen Brief hat auch der Brühler Landtagsabgeordnete Gregor Golland (CDU) bekommen, der stellvertretendes Mitglied des Ausschusses ist. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagte Golland gestern, dass er Verständnis für die schwierige Lage von Frauke Mahr und ihren Kolleginnen von der Beratungsstelle „Lobby für Mädchen“ habe. Aber Golland sagt auch: „Strafverfolgung ist Opferschutz“, es sei für den Rechtsstaat wichtig, „dass die Vergewaltiger aus der Silvesternacht gefasst und verurteilt werden“. Zum einen, damit zukünftig nicht noch mehr Frauen Opfer dieser Täter werden. Und zum anderen, „damit solche Typen sehen, dass die Justiz sie nicht davonkommen lässt“, sagte Golland gestern. Schon allein deswegen sei es gut, „dass auch diese Vorfälle endlich bekanntgeworden sind“.

„Es gilt das Legalitätsprinzip: Polizei und Staatsanwaltschaft müssen ermitteln, sobald sie von einer Straftat erfahren“, pflichtet auch Josefine Paul bei. Sie ist frauenpolitische Sprecherin der Grünen und ebenfalls Mitglied im Untersuchungsausschuss. Es sei richtig, dass ermittelt wird. „Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft etwas sensibler mit der Situation umgehen und etwa die Beraterinnen nicht so unter Druck setzen“, teilte sie auf Anfrage unserer Zeitung mit.

Leider kommt es immer mal wieder vor, dass ermittelt wird, obwohl Frauen eine Vergewaltigung nicht anzeigen wollten, sagt Agnes Zilligen vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen in Aachen. Für die Betroffenen auch jetzt aus Köln sei das bedauerlich. „Schon wieder bestimmt jemand anderes über die Frauen“, kritisiert Zilligen. „Außerdem wird ihnen der Schritt genommen, selbst Anzeige zu erstattet.“ Das sei psychologisch schlecht.

Frauke Mahr stellte in ihrem Brief die grundsätzliche Frage: „Müssen Opfer von Gewalt das Erlebte für sich behalten und können nicht eine erste Unterstützung in einer bewusst niedrigschwelligen Beratungsstelle suchen, weil dort Strafverfolgungsbehörden ermitteln könnten?“