Gesicht der Scharia-Polizei Sven Lau: Einmal Hassprediger und zurück
Düsseldorf · Sven Lau saß wegen Unterstützung einer Terrorvereinigung jahrelang im Gefängnis. Einst erfand er auch die „Scharia-Polizei“ in Wuppertal. Heute gibt er sich geläutert – und erklärt sich in einem Interview.
Das Hemd ist weiß. Blütenweiß. Der Bart leicht gestutzt, das Haar zurückgegelt. Sven Lau sitzt Sascha Bisley gegenüber. Zwei Stühle, ein karger Raum. Bisley war ein Gewalttäter, der mit 19 einen Obdachlosen so schwer verletzt hatte, dass der später an den Folgen dieses Angriffs starb. Heute ist der ehemalige Straftäter Sozialarbeiter. Ihm hat Lau ein Interview gegeben, das auf „Youtube“ 98 Minuten lang zu sehen ist. Es ist eine Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Vermutlich ehrlich. Nur manchmal verfällt Lau noch in die Opferrolle. Das Gericht hat gesagt, von Sven Lau, heute 39 Jahre alt, geht keine Gefahr mehr aus.
Er ist auf Bewährung in Freiheit. Im Juli 2017 war der seinerzeit 36-Jährige als Terrorhelfer der islamistischen Miliz Jamwa in Syrien zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Aber nach zwei Dritteln abgesessener Haft ging der zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf davon aus, dass Lau keine Straftaten mehr begehen wird. Die Vorwürfe laut Urteil damals: Er habe der Miliz zwei Kämpfer vermittelt, 250 Euro Bargeld und drei Nachtsichtgeräte im Wert von 1440 Euro zur Verfügung gestellt. Lau galt als Hassprediger aus dem Internet, als einer, der in seiner Hinwendung zum Islam sich selbst und jede Toleranz verloren hatte. Ein Eiferer. Er war das Gesicht der Scharia-Polizei, mit der er 2014 durch Wuppertal-Elberfeld zog und junge muslimische Männer vor Discos, Glücksspiel, Musik und Alkohol warnte und sie in die Moschee einlud. Sie bekehren wollte. Lau galt dem Verfassungsschutz als große Nummer.
Muslim ist er auch heute noch. Und erklärt, wie es dazu kam. Schon immer habe der katholisch Getaufte den Sinn des Lebens hinterfragt. Und nie Antwort bekommen. Erst im ersten Lehrjahr beim Kabelwerk Mönchengladbach Rheydt lernte er einen türkischen Kollegen kennen, der „immer ausgeglichen, immer gut gelaunt war. Der war gut mit jedem“. Ein Muslim, der Lau die Fragen endlich beantwortete. „Das hat mich in den Bann gezogen“, erzählt Lau. „Er glaubte, dass dieses Leben ein Test ist. Ich fand das beeindruckend.“ Lau sucht in der Bibel und findet, sieht aber „niemanden die Bibel praktizieren“. Er konvertiert. Will jetzt minutiös alles richtig machen. Die Regeln konsequent einhalten. Und ist „überfordert“.
Alles entwickelt sich. Er hat nicht das Gefühl, auf falschem Weg zu sein. „Ich habe ein Problem, Nein zu sagen. Ich lasse mich schnell fangen.“ Irgendwann kann er nicht mehr zurück. Er sei zuerst nicht bereit gewesen für einen extremistischen Weg. Habe „Nervenflattern“ bekommen, als die Berichte über den „Extremisten Lau“ in den Medien verbreitet wurden. Später verstand er es „als Auszeichnung“, blendet aus, ist selbstverliebt. „Es gibt viele Sachen, wo ich heute denke: Krass, wo war da mein Verstand? Und wo die Verantwortung meiner Familie gegenüber?“ Lau ist verheiratet, hat fünf Söhne von zwei Frauen. Sein Bekanntheitsgrad habe ihm geschmeichelt. Heute kann er sich „nicht erklären, so verblendet gewesen zu sein“.
Was Sven Lau immer radikaler gemacht hat
Kein Teil der Gesellschaft mehr zu sein, habe ihn „verhärtet“. Er sagt: „Wenn du nichts mehr hast, dir die Konten eingefroren werden, der Moschee-Verein geschlossen wird, kein Job, keine Wohnung. Was bleibt denn da noch?“ Man werde so hemmungsloser. „Dinge wie die Scharia-Polizei hätte ich niemals getätigt, wenn ich noch die Moschee in Mönchengladbach geführt hätte. Da hatte ich noch etwas zu verlieren. Ich hatte noch Verantwortung“, sagt er. Lau geht mehrere Male nach Syrien. Hilft anderen, sich zu militarisieren. Schließt sich nicht selbst Kampftruppen an, will aber am Ende mit seiner Familie bleiben. „Es ist besser“, habe er gedacht, „dass meine Kinder unter Bombenhagel aufwachsen, anstatt in Deutschland gedanklich verschmutzt zu werden.“
Er habe lange gebraucht, das Misstrauen ihm gegenüber zu verstehen. Er war Außenseiter im Gefängnis, habe „puren Hass“ erfahren. Kinder, Frau und Mutter haben in der Welt draußen wegen ihm zunehmend Probleme. „Mich hat das im Gefängnis zerschmettert. Ich konnte nicht mehr schlafen.“ Zuerst hat er seinen einjährigen Prozess für eine „Verschwörung“ gehalten. Erst viel später sei ihm bewusst geworden, was für „einen Weg“ er zurückgelegt habe. „Heftig, wie ich agiert habe. Ich habe mich geschämt und geekelt. ich hörte vor Gericht Anrufprotokolle von mir, die mich selbst erschreckt haben.“ Hinter der Panzerscheibe allein mit allem zu sein, habe etwas in ihm ausgelöst. Lau sagt: „Ich glaube auch an den lieben Gott. Er hat gewusst, dass ich genau diese Dosis Gefängnis gebraucht habe, um mich zu ändern.“
Lau ist eingeschüchtert aus dem Gefängnis gekommen. Er trägt zunächst Sonnenbrille und Kapuzen-Pullover. Die Kinder erklären ihn zum „Onkel“, der bei ihnen eingezogen sei. Er ist Fremdkörper im eigenen Haus. Erst, seit er wieder vier Mal die Woche arbeiten geht, geht es wieder „normaler zu“. Es sei immer noch schwer, wieder ins Leben zurück zu finden. Auch sein Name sei ein Problem. Heute ist er im Aussteigerprogramm des Innenministeriums. Er könne wieder sagen, was ich denke, hat neues Vertrauen gewonnen. Und sich vom Islamismus losgesagt.
Lau will Jugendliche künftig vor seinem Weg bewahren. Er sagt: „Man sollte immer in der realen Welt bleiben. Das ist ganz, ganz wichtig.“