Der Viehdoktor wird zur Mangelware
Frankfurt/Main (dpa) - Traumberuf Tierarzt: Studenten rennen den Hochschulen die Türen ein - und doch droht nach Ansicht von Fachleuten bald ein Mangel an Veterinären. Nicht in der Stadt, aber auf dem Land und dort vor allem für die Betreuung von Nutztieren.
Landärzte fehlen - auch für Tiere. High Tech-Tiermedizin lockt in die Städte, auf dem Land droht eine ähnliche Lage wie bei den Menschenärzten. „Der Mangel wird kommen, wenn sich der Trend fortsetzt“, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbandes Praktischer Tierärzte in Frankfurt. Zahlen über den künftigen Bedarf gibt es freilich nicht.
Dass inzwischen Frauen den Beruf dominieren, spielt dabei nach einhelliger Meinung der Fachleute keine Rolle. Eher schon bessere Einkommen und geregelte Arbeitszeiten in Tierpraxen in der Stadt. Armin Müller, Vizepräsident des hessischen Bauernverbandes, sieht ein Generationsproblem. Viele Tierärzte seien Mitte 50 oder älter, Nachwuchs gebe es wenig. „Da kommt einfach nichts nach“, sagt Müller, der seine Tiere von einer Gemeinschaftspraxis zweier Ärzte betreuen lässt. Die wechselten sich ab, denn immer wieder werde der Arzt zu Geburten gerufen, auch mitten in der Nacht oder an Feiertagen. Zu zweit könnten die Veterinäre das besser stemmen, zumal ihr Radius wegen der sinkenden Viehzahlen immer größer werde. Inzwischen fahren sie bis zu 30 Kilometer zu ihren Patienten.
Das Interesse am Fach ist enorm: Das Studium ist überlaufen, an den fünf deutschen tiermedizinischen Fakultäten kommen auf einen Studienplatz fünf Bewerber. Das ist mehr als in der Humanmedizin, wo es vier Bewerber pro Platz sind. Dass vor allem Frauen Veterinärmedizin studieren - in Gießen machen sie 85 Prozent der Studenten im Fach aus - liege an ihren besseren Noten, sagt Prof. Martin Kramer, Dekan der Veterinärmedizin an der Universität Gießen.
Aber nur wenige Veterinäre entscheiden sich später für die Betreuung von Kühen, Hühnern oder Schweinen auf den Bauernhöfen. Viel beliebter seien die Kleintierpraxen in den Ballungsgebieten, sagt Verbandsgeschäftsführer Färber. Dort lasse eine zahlungskräftige Kundschaft ihre Hunde, Katzen oder Wellensittiche behandeln und scheue auch vor aufwendigen Operationen nicht zurück. Prothesen oder sogar Zahnbrücken für Hunde seien möglich und würden auch gemacht.
Rauer gehe es in den Ställen zu, nicht nur wegen des strengen Geruchs. Dort entscheide oft die Frage nach der Wirtschaftlichkeit, ob ein Tier mit großem Aufwand behandelt oder zum Schlachter gebracht werde, sagt Färber.
„Der Tierarztberuf hat unglaubliche Veränderungen erlebt“, sagt der Gießener Dekan Kramer. Vor wenigen Jahrzehnten stimmte noch die Vorstellung vom Viehdoktor, der in Gummistiefeln einen 24-Stunden-Job machte, dabei je nach Jahreszeit schwitzte oder fror. Heute sei die Arbeit vielfältiger und auf Freizeit werde wichtiger. Spezialisten seien gefragt - „guten Leuten könnte ich drei Positionen vermitteln“.
Ebenso wie die Humanmedizin habe sich die Tiermedizin rasant entwickelt. Diagnose- und Behandlungsmethoden seien praktisch gleich, sagt Kramer. Die Diagnostik habe sich verbessert, Ultraschall und Computertomograph gehörten selbstverständlich auch in die Tiermedizin. Und die Haustiere würden immer älter mit den entsprechenden Gesundheitsproblemen.
„Bei Kleintieren machen wir eigentlich alles wie in der Humanmedizin“, sagt Kramer. Das entspreche ja auch der Funktion der Tiere in Familien oder bei alleinlebenden Menschen: „Hund und Katze sind Menschenersatz, deshalb sind sie alles wert.“ Operationen können nach Auskunft von Praktikern leicht einige tausend Euro kosten.
„Man muss an dem Berufsbild arbeiten“, sagt Kramer. Die Strukturen auf dem Land seien noch zu traditionell auf die Einzelpraxis ausgerichtet. Der Wissenschaftler schlägt neue Organisationsformen vor. Gemeinschaftspraxen, in denen sich mehrere Veterinäre die Arbeit in Schichten teilen, würden auch Urlaub und freie Wochenenden erlauben. Manche seien vielleicht auch an Teilzeitstellen interessiert. Aber im Gegensatz zu Nachbarländern wie Belgien sei diese Idee in Deutschland noch wenig verbreitet.