Doktorschmiede - Promovieren an Graduiertenschulen
Bremen (dpa/tmn) - Graduiertenschulen bieten den Gegenpol zur Promotion im stillen Kämmerlein. Junge Wissenschaftler schreiben dort gemeinsam an ihren Doktorarbeiten und werden dafür bezahlt. Doch den luxuriösen Bedingungen geht ein strenger Auswahlprozess voraus.
Ihre Doktorarbeit im stillen Kämmerlein zu schreiben - das wäre nichts für Lisa Heindl gewesen. „Eine Promotion kann eine sehr einsame Sache sein“, sagt die Historikerin. Ihre Dissertation wollte sie am liebsten in einem Umfeld von anderen jungen Wissenschaftlern verfassen. Vor drei Jahren bewarb sie sich deshalb an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), welche die Uni Bremen und die Jacobs University Bremen gemeinsam betreiben.
Die BIGSSS ist eine von 45 Graduiertenschulen in Deutschland, die im Rahmen der Exzellenzinitiative von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden. „An diesen Einrichtungen herrscht eine Umgebung, die Promovierende zügig zum Ziel führt. Dazu gehört: finanzielle und ideelle Förderung, intensive Betreuung und Austausch mit anderen Doktoranden“, sagt Sabine Mönkemöller von der DFG.
An der BIGSSS bekommen Stipendiaten wie Lisa Heindl monatlich 1300 Euro — drei Jahre lang. Die 28-Jährige hat drei Betreuer, teilt sich ein Büro mit einer anderen Doktorandin und kann bei Problemen jederzeit an die Türen ihrer Kommilitonen klopfen, die ebenfalls mit ihren Dissertationen beschäftigt sind.
Die Verhältnisse sind komfortabel und familiär — doch der Wettbewerb um die Plätze ist hart. „Wir bekommen jedes Jahr mehrere hundert Bewerbungen, nehmen aber nur 18 an“, sagt BIGGGS-Geschäftsführer Werner Dressel. Derzeit gibt es an der Graduiertenschule etwas über 100 Doktoranden aus 34 Nationen.
Ähnlich sieht es an der Graduate School for Computing in Medicine and Life Science der Uni Lübeck aus. Dort arbeiten derzeit etwa 70 Doktoranden an ihrer Promotion. Der akademische Direktor Achim Schweikard sieht den großen Vorteil der Graduiertenschulen darin, dass sich die Doktoranden durch die finanzielle Förderung voll auf ihre Dissertation konzentrieren können. „Sie werden fürs Promovieren bezahlt“, erklärt er. Eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover zeigt, dass Doktoranden mit einem Stipendium pro Tag im Durchschnitt 5,8 Stunden an ihrer Promotion arbeiten. Bei Doktoranden mit einem Job am Lehrstuhl sind es nur 3,5 Stunden.
Kritik gibt es allerdings am fehlenden akademischen Praxisbezug der Graduiertenschulen. „Die Doktoranden sind dort nicht so stark in den Wissenschaftsbetrieb integriert wie an einem Lehrstuhl“, sagt Norman Weiss, Vorsitzender des Doktoranden-Netzwerks Thesis. Er ist deshalb der Meinung, dass Promovierende in strukturierten Programmen schlechtere Chancen auf eine akademische Karriere haben als Doktoranden, die zuvor in den universitären Betrieb eingespannt waren.
Die Wahl des Promotionsweges hänge aber vor allem vom persönlichen Arbeitsstil ab. „Wer individualistisch arbeitet und sich gut Dinge selbst beibringen kann, ist für eine Einzelpromotion geeignet.“ Wer dagegen eher an die Hand genommen werden will, für den seien Graduiertenschulen von Vorteil. „Allerdings selektieren die Einrichtungen sehr stark, und es ist schwierig, in ein passendes Programm aufgenommen zu werden“, gibt Weiss zu bedenken.
Bewerber für eine strukturierte Promotion sollten sich vorher genau informieren, welche Hochschulen Graduiertenprogramme anbieten. Bei vielen Einrichtungen gibt es Fristen, die es einzuhalten gilt — auch deshalb ist es ratsam, sich schon in der Endphase des Masters umzuschauen. Auch ein vorläufiges Dissertations-Exposé, in dem das Thema der Arbeit skizziert wird, muss laut Weiss meist bei der Bewerbung eingereicht werden.
Ob die Absolventen der Graduiertenschulen nach ihrem Abschluss bessere Chancen haben als Doktoranden, die an einem Lehrstuhl promoviert haben — dazu lägen noch keine Ergebnisse vor, sagt DFG-Mitarbeiterin Mönkemöller. BIGGGS-Geschäftsführer Dressel beobachtet aber, dass alle Absolventen einen „qualifikationsnahen Job“ gefunden hätten: Etwa zwei Drittel seien in der Forschung oder in forschungsnahen Gebieten untergekommen. Der Rest habe in europäischen Behörden, internationalen Organisationen wie der Unesco oder in der Politik einen Job gefunden.
Lisa Heindl weiß noch nicht genau, ob sie sich für den wissenschaftlichen Weg entscheiden wird. Noch arbeitet sie an ihrer Promotion über die Arbeit privater amerikanischer Organisationen in Osteuropa und wird wohl die angesetzten drei Jahre etwas überschreiten. Doch sie ist optimistisch, was ihre weitere Karriere betrifft: „Große Sorgen macht sich von uns keiner um die Zukunft. Die Jahrgänge vor uns sind schließlich sehr gut weitergekommen.“