Im Visier der Gerichte - Urteile zur Leiharbeit
Erfurt/Frankfurt/Main (dpa) - Vor zehn Jahren fielen die Schranken für die Leiharbeit: Durch Dumpingtarife, unterlaufene Sozialstandards und den schleichenden Ersatz von Stammbelegschaften geriet die Verleihbranche in die Kritik.
Arbeitsrichter setzen dem Missbrauch nun Grenzen.
Viele Leiharbeiter empfinden sich noch immer als Arbeitnehmer zweiter Klasse - obwohl manche Auswüchse der vor zehn Jahren weitgehend liberalisierten Zeitarbeitsbranche inzwischen eingedämmt sind. Zudem sind Arbeitsrichter den schwarzen Schafen unter den Zeitarbeitsfirmen und Personaldienstleistern auf den Fersen. Viele krasse Fälle von Lohndumping oder Unterlaufen von Sozialstandards haben es in die letzte Instanz geschafft.
Die Bundesarbeitsrichter in Erfurt schlugen in diesem Jahr mit einer bemerkenswerten Serie von Urteilen Pflöcke ein, an denen Ver- und Entleihfirmen nach Einschätzung von Arbeitsrechtlern nicht mehr vorbeikommen. Seit Januar ging es Schlag auf Schlag: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte, dass Leiharbeitnehmer in den Entleihfirmen mitzählen - bei der Größe des Betriebsrates ebenso wie bei den Regeln für den Kündigungsschutz.
Wenn Kleinbetriebe durch Leiharbeiter die Schwelle von zehn Arbeitnehmern übersteigen, gibt es für die Stammbelegschaft Kündigungsschutz, wie Gerichtssprecherin Inken Gallner erklärt. Die Betriebsratsentscheidung des BAG werde 2014 Wirkung zeigen, sagt Thomas Klebe, Chefjurist beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. „Bei den anstehenden Betriebsratswahlen wird es größere Arbeitnehmervertretungen geben.“ Manche Metall-Firmen hätten einen Leiharbeiteranteil von 20 bis zu 30 Prozent.
Zudem pochten die Bundesarbeitsrichter erneut auf gleiche Bezahlung von Leiharbeitern wie für die Stammbelegschaften, wenn es keinen gültigen Tarifvertrag gibt. Für Bewegung hatten sie bereits mit einem Grundsatzurteil 2010 gesorgt, als sie der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) das Recht auf Abschluss von Tarifverträgen absprachen - meist waren Dumpingkonditionen vereinbart worden. Das Urteil sorgte für neue Tarife in der Verleihbranche und eine Klagewelle auf Lohnnachzahlungen in Millionenhöhe.
Im Juli sorgten die obersten deutschen Arbeitsrichter für Aufsehen, weil sie Betriebsräten ein Vetorecht einräumten, wenn Leiharbeiter in ihrem Unternehmen dauerhaft eingesetzt werden sollen. Noch haben die Richter ihr Pulver für dieses Jahr nicht verschossen: In einem nächsten Schritt könnte das BAG dafür sorgen, dass dem Dauereinsatz von Leiharbeitern in Unternehmen ein Riegel vorgeschoben wird.
Der Neunte Senat will sich mit der Frage befassen, was heißt „vorübergehend“. Mit diesem Wort hat die Bundesregierung Ende 2011 versucht, den seit fast einem Jahrzehnt möglichen Dauereinsatz von Leiharbeitern zu begrenzen. Verhandelt wird am 10. Dezember - voraussichtlich kommt der Präzedenzfall zum Thema Dauereinsatz aus Baden-Württemberg, sagt Gallner. Weiter Fälle lägen vom Landesarbeitsgericht Berlin/Brandenburg vor.
Der Arbeitsrechtler Peter Schüren von der Universität Münster sieht die Verleihbranche bereits im Umbruch. „Leiharbeit kann Flexibilität bieten, aber nicht mehr superbillige Arbeitskräfte auf Dauer.“ Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat die Hälfte der im Boomjahr 2010 neu geschaffenen 200 000 Zeitarbeitsjobs reguläre Arbeitsplätze verdrängt. Das sei der Preis für den Stellenzuwachs insgesamt, heißt es in der IAB-Studie, die das Wachstum der Zeitarbeit auch auf die gesetzliche Lockerung zurückführt.
Sollte das BAG eine zeitliche Begrenzung von Leiharbeit im Dezember festlegen, hat das Auswirkungen auf den Status der Betroffenen. Dann stelle sich die Frage, ob sie bei dauerhafter Beschäftigung nicht eigentlich zur Stammbelegschaft gehören und in einem Arbeitsverhältnis mit der entleihenden Firma stehen, sagen Arbeitsrechtler. Das hätte Konsequenzen auch für den Arbeitsmarkt.
Nach vielen Boomjahren ist die Zahl der Zeitarbeiter zwar rückläufig, auch weil die Firmen wegen drohender Engpässe Fachkräfte lieber gleich selbst einstellen. Aber immer noch arbeiten nach Zahlen der beiden Branchenverbände iGZ und BAP etwa 800 000 Menschen bei einigen tausend Verleihfirmen oder Personaldienstleistern. Vor einem Jahr waren es nach Zahlen der Bundesarbeitsagentur noch rund 900 000. Damit hatte sich die Zahl der Leiharbeiter nach den Reformen von 2003, als die Grenze für die Einsatzdauer von zuvor ein bis zwei Jahren fiel, etwa verdreifacht.