Nestbeschmutzer oder Held? Die Rechtslage für Whistleblower

München (dpa/tmn) - Der Chef steckt Geschenke ein oder lässt aus Kostengründen Umweltstandards außer Acht: Wer illegale Praktiken im Betrieb beobachtet, steckt in einem Dilemma. Das Gewissen verlangt, aktiv zu werden.

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Doch dann droht Ärger mit dem Chef. Was nun?

Beim Siemens-Konzern gibt es für Whistleblower eine eigene Hotline: „Tell us“ - zu Deutsch „Erzähl es uns“ - heißt sie und ist im Netz für jedermann einsehbar. Benutzer müssen im ersten Schritt angeben, was für eine Art von Verstoß sie dem Konzern melden wollen. Zur Auswahl stehen acht Möglichkeiten, darunter Korruption, Diebstahl und Betrug. Im zweiten Schritt werden Nutzer aufgefordert, den Vorfall zu schildern und beteiligte Personen zu nennen. Sie werden gefragt, ob Führungskräfte in den Vorfall verwickelt sind und wie hoch sie den Gesamtschaden einschätzen. Ob der Whistleblower anonym bleibt oder nicht, kann er sich aussuchen.

Whistleblowing heißt auf Deutsch in etwa so viel wie verpfeifen. Gemeint ist, illegale Praktiken zum Beispiel in Unternehmen oder staatlichen Behörden aufzudecken. Von der Öffentlichkeit werden Whistleblower häufig als mutige Helden verehrt, von den Kollegen nicht selten als Denunzianten oder Nestbeschmutzer verunglimpft.

„Für Arbeitnehmer ist in Deutschland in so einer Situation sehr schwer zu erkennen, was er darf und was er muss“, sagt Prof. Björn Gaul, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Es gibt nur wenige gesetzliche Regelungen.

Zunächst sollten Arbeitnehmer versuchen, Missstände intern anzusprechen, erklärt Prof. Gaul. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich eine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber. Wer etwa sieht, dass auf dem Gelände Öl ausläuft oder ein Einkäufer teure Geschenke annimmt, geht am besten erst einmal zu seinem Vorgesetzten.

Ist der Vorgesetzte selbst in die Machenschaften verstrickt, ist das jedoch keine Option. Dann wenden sich Mitarbeiter am besten an den Vorgesetzten ihres Chefs, an die Geschäftsführung, oder sie gehen zum Betriebsrat, empfiehlt Prof. Gaul. Eine Strafanzeige bei der Polizei zu stellen oder sich an die Öffentlichkeit zu wenden, ist im Zweifel erst die letzte Option.

Dennoch: Wer Grund zur Annahme hat, dass es in der Firma illegale Machenschaften gibt und glaubt, eine interne Meldung bringe nichts, darf direkt zu Behörden gehen oder die Medien einschalten, wenn die Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Eine Kündigung aus diesem Grund ist nicht zulässig. Darauf weist Hans-Georg Meier hin, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Berlin. Er bezieht sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2011 (Az.: EGMR, 21.07.2011, 28274/08).

Dieses Urteil hat die Rechte von Arbeitnehmern gestärkt - und trotzdem ist die Situation für sie heikel: Beschuldigen sie jemanden zu Unrecht, müssen sie im schlimmsten Fall eine Abmahnung oder Kündigung hinnehmen. Außerdem können sie sich schadenersatzpflichtig machen, erklärt Prof. Gaul.

Die weniger Mutigen halten deshalb im Zweifel lieber den Mund, wenn sie von Missständen erfahren. Auch um das zu vermeiden, hat Siemens seine Whistleblower-Hotline eingerichtet. „Tell us“ gibt es seit 2007. Es ist eine Reaktion auf die Korruptionsaffäre, die den Konzern 2006 erschütterte.

„Etwa 20 bis 30 Prozent der bei der Hotline gemeldeten Hinweise betreffen tatsächlich Compliance-Verstöße“, sagt Klaus Moosmayer, verantwortlich für das Thema Compliance beim Siemens-Konzern. Das betrifft Verstöße gegen Gesetze oder Ethik-Kodizes - wie ein Hinweis auf Untreue oder Betrug. Der Rest seien personalbezogene Themen.

Doch unabhängig davon, ob es eine Hotline gibt: Viele Whistleblower stehen neben den rechtlichen Unsicherheiten noch vor einem anderen Problem. In der Bevölkerung sei das „Verpfeifen“ in der Regel verpönt, sagt Rechtsanwalt Meier. „Man liebt zwar den Verrat, aber nicht den Verräter.“