Große Kunst Prothesen-Herstellung: Im Institut der tausend Augen

Wiesbaden (dpa) - Wenn Ocularist Jan Müller-Uri eine von vielen Schubladen in seiner Praxis öffnet, blickt er in Dutzende Augen. Es sind Glasaugen mit allen denkbaren Iris-Farben, jedes ein Unikat.

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Müller-Uri wählt eines aus, das der natürlichen Augenfarbe des Patienten am nächsten kommt. Die endgültige Form gibt er dem Glasauge dann über einem Bunsenbrenner an seinem Arbeitsplatz im Institut für künstliche Augen, F.Ad. Müller Söhne OHG. Das Wiesbadener Familienunternehmen stellt seit 1860 Glasaugen her.

„Den Verlust eines Auges kann jeden Treffen“, sagt Müller-Uri. Sei es durch Krankheit, eine Kriegsverletzung oder einen Unfall. Sein jüngster Patient sei gerade 14 Stunden alt gewesen, sein ältester 104 Jahre. Rund 50 Patienten betreut das Institut, erzählt der 53 Jahre alte Glasaugenmacher. Darunter seien auch vereinzelt Bundeswehrsoldaten, die etwa im Einsatz in Afghanistan verletzt wurden. Müller-Uri betreut seit einigen Jahren auch immer mehr Flüchtlinge. Deren überwiegende Zahl habe ihr Auge durch Minensplitter verloren. „Ich merke das auch daran, dass dunkle Farben wie Grau-Braun knapp werden.“

Aus einem kugelartigen Rohling formt der Ocularist die eigentliche Augenprothese. Sie gleicht einer flachen, gewölbten kleinen Scheibe, wie ein Stück aus einem 3D-Puzzle, und wird der individuellen Augenhöhle angepasst. „Viele Menschen denken, ein Glasauge wäre eine Kugel. Aber dann würde es sich ja in der Augenhöhle unkontrolliert drehen“, sagt Müller-Uri. Die flachen Prothesen dagegen sitzen stabil hinter den Lidern.

Um die Patienten in Deutschland zu versorgen, arbeiten hierzulande gut 70 Ocularisten. Der Bundesverband der Augenärzte Deutschlands sieht die Patienten bundesweit gut mit Glasaugen versorgt. In der Regel könne der Arzt den Betroffenen sogar mehrere Augenkünstler zur Auswahl nennen, erklärt Sprecher Ludger Wollring. Der Augapfel werde nach Möglichkeit so entfernt, dass das Kunstauge durch die verbliebenen Augenmuskeln etwas mit bewegt werden kann. „Hierdurch können - in Verbindung mit einer in Größe und Aussehen gut angepassten Prothese - hervorragende kosmetische Ergebnisse erzielt werden“, sagt Wollring.

„Im Umgang mit dem Patienten ist viel Empathie wichtig“, sagt der Ocularist. Naturgemäß ist der Verlust eines Auges ein einschneidendes Erlebnis. „Wir können dem Patienten zwar nicht das Augenlicht zurückgeben, aber Lebensqualität.“

Ein gut gemachtes Glasauge ist von dem natürlichen Auge kaum zu unterscheiden. Müller-Uri achtet nicht nur auf die Farbe der Iris, sondern auch auf das Augenweiß. Es ist bei manchen Menschen eher gelblich, bei anderen eher bläulich. Über der Flamme des Bundesbrenners bildet er auch die feinen Äderchen im Auge nach. Während der Arbeit sitzen die Patienten neben ihm - in rund ein bis zwei Stunden ist eine Prothese fertig.