Studieren, wie man mit Pferden flüstert
Bad Saarow (dpa) - Morioco, zwei Monate alt, ist gerade der heimliche Star unter den Vierbeinern. Er ist der jüngste Bewohner des Pferdezentrums Bad Saarow (Oder-Spree) der Freien Universität Berlin.
„Das Fohlen entstand durch Embryotransfer - von einer Leihstute auf unsere Empfängerstute, die ihn letztlich gebar“, erklärt Zentrumsleiter Johannes Handler. Der gebürtige Wiener ist Professor für Reproduktionsmedizin. Fachgebiet: Fortpflanzung von Pferden.
170 FU-Studenten kommen zur praktischen Ausbildung aus Berlin in die märkische Provinz am Scharmützelsee. 25 Uni-eigene Pferde werden dafür auf der weitläufigen, deutschlandweit einmaligen und 13 Hektar großen Anlage in Bad Saarow gehalten. Dort gibt es neben Forschungslaboren, Ställen, Koppeln und Reithalle auch ein Bewegungskarussell für Pferde sowie eine Besamungs- und Embryotransferstation.
Einen noch größeren Teil ihres Studiums verbringen die Kommilitonen der FU-Pferdewissenschaften in dem externen Zentrum, dass die Universität vor zwei Jahren gepachtet hat. „Der dreijährige Studiengang, der mit einem Bachelor abgeschlossen wird, ist noch relativ neu und beschäftigt sich mit dem artgerechten Umgang mit den Tieren“, sagt Handler. Seinen Angaben zufolge bietet europaweit kaum ein halbes Dutzend Universitäten dieses Fach an. Konkret gehe es um die besondere Stellung des Pferdes als Nutztier und seine Beziehung zum Menschen.
Ob das allein für einen eigenen Studiengang reicht oder nicht besser in einem Nebenfach in Kombination mit Veterinärmedizin oder Biologie aufgehoben wäre, fragt unterdessen Professor Karsten Feige, Leiter der Pferdeklinik der Tierärztlichen Hochschule Hannover, die mit der Georg-August-Universität Göttingen kooperiert. Auch dort gibt es den Studiengang Pferdewissenschaften. „Mir sind die späteren beruflichen Perspektiven der Absolventen dieses Studienganges nicht klar“, sagt Professor Feige.
„Der Vorteil des Studiums Pferdewissenschaften ist die vielseitige Ausbildung für das Pferdewohl, mit der unsere Absolventen später in allen Bereichen der Pferdewirtschaft arbeiten können - auf Gestüten, bei Zuchtverbänden, bei Herstellern von Ställen und Futtermitteln oder eben als Trainer“, entgegnet Professor Handler. Gerade von diesen Leuten wünsche er sich häufig etwas mehr Pferdesachverstand.
Das kann auch Ann Karin Sieme von der Tierschutzorganisation „Aktion Tier“ bestätigen. „Das ist ein sinnvoller Studiengang, wenn er für ein Umdenken sorgt. Gerade Reiter sehen Pferde auch heute noch nur als reines Sportgerät und nicht als Lebewesen an“, sagt sie.
Eine Erfahrung, die Anna Driemel aus Halbe (Dahme-Spreewald) teilt. Die 21-Jährige gehörte zu den ersten 30 Studenten, die einen Studienplatz Pferdewissenschaft an der FU ergatterten und die mittlerweile im 4. Semester sind. „Meine Eltern halten Pferde, ich bin mit den Tieren und vor allem auf ihrem Rücken aufgewachsen, bin Turniere geritten und habe sogar Reitunterricht gegeben“, erzählt die junge Frau.
Trotz der vielen Erfahrungen habe sie während des Studiums viel gelernt über das Wesen von Pferden. „Da gibt es so vieles, bei dem sich Pferd und Mensch missverstehen können“, erzählt sie. Zu verdanken hat Anna das, wie sie selbst sagt, praxisorientierten Dozenten wie Franziska Görwitz, die bei dem berühmten amerikanischen Pferdeflüsterer Monty Roberts ausgebildet wurde. Mit ihren Studenten im Schlepptau wandert sie konzentriert von einer Pferdebox zur nächsten und lässt die 30 Nachwuchsflüsterer die Rösser darin verhaltenstechnisch analysieren.
„Pferdeverstand zu bekommen, ist wichtig. Denn du lernst im Umgang mit den Tieren auch nach Jahren noch dazu “, sagt auch Heike Schadock, Pferdezüchterin aus Wehnsdorf (Dahme-Spreewald). Ihr gehört die Stute, von der Fohlen Morioco abstammt. „Eine tolle Einrichtung und bei Problemen immer ein Ansprechpartner und Ratgeber, ohne sofort Geld dafür sehen zu wollen“, sagt sie über das externe Uni-Pferdezentrum. Im Uni-Pferdezentrum werden auch Workshops für Pferdehalter und andere Interessierte angeboten, um wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt zu machen.