Übersetzer sind stille Helfer der Globalisierung
Berlin (dpa) - „Nagen Sie die Abdeckleiste an!“ Wer so etwas in einer Montage-Anleitung liest, wird gute Übersetzungen schätzen lernen. Nie zuvor wurde so viel übersetzt wie heute - von Weltliteratur bis zum Text auf dem Joghurtbecher.
Manchmal ist da einfach Hass. „Hass auf den Autor, sein Buch und die ganze Welt“, sagt Brigitte Döbert. Dann lacht sie. Kein Übersetzer gebe solche Phasen seines Schaffens gern zu, ergänzt sie. Denn oft schlage Hass auf ein Buch später in heiße Liebe um. Döbert übersetzt in Berlin Literatur vom Balkan.
Doch Romane sind nur ein kleiner Teil eines riesigen Markts: Ohne Sprachdienstleistungen von der Montage-Anleitung bis hin zum Beipackzettel von Medikamenten würde die globalisierte Welt nicht mehr funktionieren. Auf ihre wachsende Bedeutung weist die eher stille Branche am 30. September hin: dem Internationalen Übersetzertag.
Der Bedarf an Schriftgut in anderen Sprachen wächst stetig. Heute gibt es nach Angaben des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) 40 000 Übersetzer in Deutschland - doppelt so viele wie im Jahr 2003. Der Verband schätzt die Ausgaben für Übersetzungen in der Bundesrepublik auf bis zu eine Milliarde Euro im Jahr - mit zehnprozentigen Wachstumsraten.
In der Export-Nation Deutschland brauchen nach BDÜ-Recherchen heute bereits 80 Prozent der Unternehmen Übersetzer. Wer aus den USA oder Asien Waren in die Bundesrepublik verkaufen will, benötigt sie auch. Denn Anleitungen auf Deutsch sind Pflicht. Das geht nicht immer gut. Kunden lesen mitunter so seltsame Sätze wie: „Hochangeschlagene Qualität kann geschlagen, gehämmert und gefalten werden.“
Benedikt Hendan, Sachverständiger für Bedienungsanleitungen beim TÜV Süd, hält nur ein gutes Viertel der Instruktionen, die er prüft, für korrekt. Oft seien die Anleitungen schon im Ursprungsland mangelhaft, berichtet er. „Da wird ein alternder Ingenieur rangesetzt, der keine Ideen mehr hat. Aber leider auch keine Ahnung von Didaktik.“ Die Übersetzung könne dann gar nicht besser sein.
Technik verlange heute nach einem Fachübersetzer mit Sachverstand. Ähnlich wie ein Literaturübersetzer in Romanfiguren müsse er sich in eine Maschine hineinfühlen, sagt Hendan. Ein technischer Übersetzer sollte auch kulturelle Unterschiede kennen. „In Asien kann eine Betriebsanleitung aussehen wie ein Manga. Bunte Männchen würden bei uns aber nicht funktionieren“, sagt Hendan. In Deutschland käme wohl auch niemand auf die Idee, seinen Hund in der Mikrowelle zu trocknen. „In den USA ist es Pflicht, das Verbot dazuzuschreiben.“
Schlampige Übersetzungen im technischen Bereich, mit denen Firmen oft Geld sparen wollen, sind kein Kavaliersdelikt. Wenn Unfälle auf fehlerhafte Anleitungen zurückgehen, haftet die Firma. Das kann teuer werden. Was sollte ein Unternehmen in Service samt Übersetzung investieren? „Ein Drittel des Produktpreises“, schätzt Hendan.
Viele Internet-Nutzer versuchen, Texte in Portalen kostenlos automatisch übersetzen zu lassen. Norma Keßler, Vize-Präsidentin des BDÜ, sieht darin keine Konkurrenz. „Der Mensch als Übersetzer wird bleiben“, meint sie. Auch in Zukunft würden Maschinen nicht mit Sprachbildern und stilistischen Feinheiten klarkommen.
Die meisten Übersetzer sind heute Freiberufler. Ein Sorgenkind der Branche ist die Literatur. Übersetzer werden hier manchmal so schlecht bezahlt, dass sie einen Zweitjob brauchen.
Brigitte Döbert ist das Wagnis des Übersetzer-Lebens trotzdem eingegangen. Mit einem Kompromiss: Englische Sachbücher sorgen für das Haupteinkommen, Serbisch, Kroatisch und Bosnisch sind Herzensangelegenheit. Dass Döbert diese Sprachen beherrscht, nennt sie einen biografischen Zufall. „Ich habe mich in einen Serben verliebt und länger in Belgrad gelebt.“
Es ist keine leichte Kost, die sie heute ins Deutsche überträgt. Junge Autoren reflektieren den Zerfall Jugoslawiens und den Krieg. Wenn Döbert Hass auf einen Autor bekommt, kann es um ein Massaker gehen. „Als Übersetzerin muss ich quasi mitmachen“, berichtet sie. Fast kriechend bewege sie sich durch das Buch, viel intensiver als später ein Leser. An einer Kurzgeschichten-Übersetzung hat sie zwei Monate gesessen und gerade mal 2000 Euro brutto verdient. Das war kein gutes Gefühl. Dennoch sagt sie: „Es ist ein wundervolles Buch.“