Waldorflehrer zwischen Überzeugung und Jobwunsch
Kassel (dpa) - Warum wird man Waldorflehrer? Die Motive der Studenten des Lehrerseminars in Kassel sind unterschiedlich. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung ist dabei und natürlich auch Überzeugung.
Und was ist mit dem Geld?
Die Überzeugung kam bei Stefanie Turba erst später. „Ich wollte unbedingt als Lehrer arbeiten und Geld verdienen“, sagt die 27-Jährige aus Thüringen. Doch nach dem Lehramtsstudium gab es keinen Referendariatsplatz für sie. Also entschloss sie sich, das Waldorflehrer-Seminar in Kassel zu besuchen, um später an Waldorfschulen zu unterrichten. „Viele Bekannte hatten Vorurteile. Aber die wurden hier widerlegt“, erzählt sie. Mittlerweile ist sie vom Waldorf-Konzept überzeugt. „Es ist besser, weil es weniger Leistungsdruck gibt und der Mensch zählt.“
Die Ausbildung unterscheide sich grundlegend von der staatlichen, betont Turba. „Wir sind viel an der Schule und unterrichten, es ist praxisorientierter. Es gibt mehr persönliche Rückmeldung.“
Professor Wilfried Sommer unterrichtet die angehenden Waldorf-Lehrer. „Aus dem Versuch das Modell ableiten - und nicht umgekehrt“, ist laut Sommer ein Grundsatz der Waldorf-Pädagogik, die auf den vor 150 Jahren geborenen österreichischen Anthroposophie-Gründer Rudolf Steiner zurückgeht. Dies sei methodisch anders als an staatlichen Schulen, deshalb sei eine eigene Ausbildung nötig.
Matthias Buchholz ist über seine Kinder, die zu einer Waldorfschule gehen, Waldorflehrer geworden. Der 39-Jährige unterrichtet seit einem Jahr in Kassel. „Das Elternengagement ist in Waldorfschulen sehr gefragt. Die Richtigkeit dieser Pädagogik hat sich für mich immer mehr bestätigt. Dann folgte eine berufliche Neuorientierung“, erzählt Buchholz, der zuvor als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Erfurt war.
„Lebenserfahrung ist durchaus erwünscht“, betont Sommer. Die Lehrer seien sehr frei in der Gestaltung des Unterrichts. Dennoch müssen auch die Waldorfschulen um ihre Lehrer - oftmals Quer- oder Seiteneinsteiger - kämpfen. Die Bezahlung ist schlechter als an staatlichen Schulen, auch kommen die Waldorflehrer nicht in die Vorzüge des Beamtendaseins. Zudem macht sich auch hier der Fachkräftemangel bemerkbar.
„Lehrer finden ist schwierig“, sagt Sommer. Vor allem für die naturwissenschaftlichen Fächer, Mathematik und Informatik. Denn nicht nur staatliche Schulen, sondern auch die Wirtschaft lockt mit Gehältern, die an Waldorfschulen nicht zu erreichen sind. „Wir sind inhaltlich überzeugend, finanziell aber braucht man einen Schuss Idealismus“, sagt Sommer.
Er betont, entgegen gängigen Vorurteilen müssten auch Waldorflehrer in der Regel einen akademischen Abschluss „in einem schulnahen Fach“ haben. Es gebe aber die Möglichkeit, diesen an waldorf-eigenen Einrichtungen nachzuholen und dann in Grund- und Hauptschulklassen eingesetzt zu werden. Das Lehrerseminar in Kassel ist eine von acht Ausbildungsstellen bundesweit.
Finanziert wird die Ausbildung ohne staatliche Gelder vor allem durch den Bund der Freiwilligen Waldorfschulen und die Gebühren der Teilnehmer, rund 260 Euro pro Monat. Außer der Ausbildung werden in Kassel auch Fortbildungen für Waldorflehrer angeboten. Bis zu 30 Studenten pro Jahr werden in Vollzeit ausgebildet, für Seiteneinsteiger gibt es ein Blockunterrichts-Programm, dort nehmen jährlich etwa 100 Studenten teil. Weiterer Schwerpunkt in Kassel ist die Forschung: Hier werden für die mehr als 200 deutschen Waldorfschulen Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien entwickelt.
Der 31 Jahre alte Benjamin Weiß kam durch eine Zeitungsannonce aus der Nähe Bremens zum Waldorflehrer-Seminar nach Kassel. Er wollte nach seinem Geschichts- und Informationswissenschaftsstudium eigentlich in Museen arbeiten, das aber klappte nicht und so hat er sich zwischenzeitlich als freiberuflicher Journalist versucht. Doch das sei ein sehr hartes Brot gewesen, betont er. Also Waldorflehrer. „Ausschlaggebend waren wirtschaftliche Gründe. Ich hoffe, im September eine Anstellung zu bekommen. Das ist was, was Zukunft hat.“