Alle auf einen - Rolle des Sündenbocks wieder loswerden
Köln (dpa/tmn) — Der Familienurlaub in einem grauenhaften Hotel, ein misslungenes Projekt im Betrieb, Abrechnungsfehler im Verein: Gelegenheiten, die Schuld für etwas zu bekommen, gibt es genug im Leben.
Manchmal hat man zum Problem beigetragen, manchmal überhaupt nicht.
„In jedem sozialen System — ob im Betrieb oder in der Familie — gibt es Spannungen darüber, ob ein Ziel gelingt“, sagt Prof. Jochen Schweizer-Rothers, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Wo es keine Gelassenheit im Umgang mit Fehlern gibt, ein hoher Erfolgsdruck und ein personalisierendes Denken herrscht, werden Menschen leicht zum Sündenbock gemacht.
Doch was tun, wenn ich den Schwarzen Peter zugeschoben bekomme? „Werde ich zum Sündenbock gemacht, ist es wichtig, erst einmal gelassen zu bleiben. Reagiere ich wild, aggressiv und erregt, wird das vom Umfeld oft als Bestätigung gesehen“, sagt Schweitzer-Rothers. Gut ist es demnach, seine eigenen Verhaltensmuster bei Kritik zu kennen: „Reagiere ich eher depressiv, "ach, jetzt habe ich wieder versagt", oder aggressiv "dem werde ich es zeigen!"?“ Eine Reaktion in der Mitte sei oft hilfreich. Der Psychologe empfiehlt, um eine Bedenkzeit zu bitten, bevor man sich äußere.
Ähnliches rät Ulrich Dehner, Vorstandsmitglied im Bundesverband für Coaching (DBVC) in Osnabrück: „Viele Menschen steigen sofort in die Verteidigung ein, auch wenn sie gar keine Schuld trifft.“ Das locke die Angreifer noch mehr. „Überlegen Sie sich, ob Sie eine Teilschuld tragen. Waren Sie etwa zu devot, zu brüsk oder nicht kompromissbereit und haben Fehler gemacht? Dann geben Sie dies zu, das entspannt die Situation oft. Trifft Sie gar keine Schuld, dann weisen sie die Vorwürfe in einem ruhigen Ton zurück.“
Eigentlich sei es nicht schlimm, mal der Sündenbock zu sein, sagt Annette Lentze, Referentin der Deutschen Gesellschaft für Supervisionin Köln. Das sei etwas Alltägliches. „Menschen werden immer versuchen, von ihren eigenen Schwächen auf andere abzulenken.“ Schwierig werde es, wenn die Sündenbockrolle in einem Team immer nur einen Menschen betreffe. „Da kann man nur schwer herauskommen, das ist auf Dauer sehr belastend.“ Es sei wichtig zu verstehen: Was ist in der Organisation oder was ist mit dem Team los, dass es jemanden in seinen Reihen zum Sündenbock macht?
Im Anschluss steht dann die Frage: Habe ich eine Chance, aus dieser Rolle wieder hinaus zu kommen? „Passiert mir das im Schwimmverein, dann kann ich mich vielleicht woanders umschauen.“ Das gelte auch für den Beruf — nur sei es häufig leichter gesagt als getan, die Arbeitsstelle zu wechseln. „Wenn ich bleiben muss, würde ich an die Führungskraft appellieren und darum bitten, eine klärende Supervision ins Boot zu holen“, sagt Lentze. „Unabhängig davon kann ich selbst mir eine Beratung suchen. Wenn etwas dauerhaft auf mich einwirkt, dann trübt sich mein eigener Blick und ich brauche Ideen von außen.“ Mit der Beratung könne man das Geschehen reflektieren und verschiedene Interventionen entwickeln, um eine Bewegung in die Situation zu bringen.
„Suchen Sie sich einen Feedback-Geber, dem Sie vertrauen und der selbstbewusst genug ist, ihnen die Wahrheit zu sagen“, ergänzt Psychologe Dehner aus Konstanz. „Wenn man immer wieder das gleiche Feedback zu einem Verhalten bekommt, oder immer wieder die gleichen Probleme hat, sollte man sich schon fragen, ob etwas Wahres dran ist.“