Altersarmut nimmt zu: Kein Zahnersatz, kein Urlaub
Düsseldorf (dpa) - Alte Menschen, die Flaschen aus dem Müll sammeln. Senioren, die um Almosen bitten. Rentner, die sich weder Urlaub noch Medikamente leisten können. Altersarmut in Deutschland ist sichtbar geworden.
Manfred Birk hatte sich auf seinen Lebensabend gefreut. Nach fast 38 Berufsjahren als Handwerker ist der 79-jährige Witwer jetzt sauer. Er fühlt sich um seine Rente betrogen. „Meine Miete und Fixkosten haben sich fast verdoppelt, die Inflation schlägt voll durch. In elf Jahren habe ich dadurch 30 Prozent meiner Rente verloren“, sagt der Wuppertaler. „Ich habe unterm Strich 400 Euro zum Leben, da muss ich scharf kalkulieren, da kann man keine großen Sprünge machen, auch keinen Urlaub.“
Krankheitsbedingt brauche er Akupunktur, die aber von der Kasse nicht bezahlt werde. „Ich fühle mich arm und reingelegt. Wenn ich aber das Elend der Flaschensammler sehe, dann kommt mir erst richtig die Wut hoch.“
Alte Menschen, die Pfandflaschen aus dem Müll holen. Runzlige Mütterchen, die um eine milde Gabe bitten, oder Ergraute, die im Discounter mit den billigsten Waren zur Kasse kommen. Altersarmut in Deutschland ist sichtbar geworden.
„Es ist traurig und erschreckend, wenn alte Menschen in unseren Beratungen sagen, sie wissen nicht, ob sie das Brot oder das Medikament kaufen sollen“, erzählt Manuela Anacker vom Sozialverband VdK in Düsseldorf. Über drei Millionen Rentner sind laut VdK arm oder von Armut bedroht, leben am oder unter dem Existenzminimum.
Wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung hat, gilt hierzulande als arm. Damit beginnt Armut bei 935 Euro. Ein männlicher Erstrentner kommt in Westdeutschland derzeit laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung im Schnitt auf 820 Euro.
Hat ein Rentner weniger als 742 Euro zur Verfügung, weist die Deutsche Rentenversicherung auf die Grundsicherung im Alter hin. Diese Sozialleistung - eine Art Hartz IV für Senioren - wird nach individuellem Bedarf errechnet, Basis ist ein Regelsatz von 364 Euro. 2009 erhielten 400 000 über 65-Jährige diese Unterstützung - ein Plus von 55 Prozent binnen sechs Jahren.
„Diese Grundsicherung verhindert aber Armut nicht“, kritisiert VdK-Expertin Anacker. Und: Die große Mehrheit der Senioren in Armut beansprucht dieses Geld gar nicht. Armutsexpertin Antje Richter aus Hannover weiß: „Armut unter älteren Menschen existiert trotz staatlicher Hilfen und findet eher im Verborgenen statt.“ Armut schließe Senioren aus und isoliere sie.
Steigende Gesundheitskosten sind für Alte stark belastend. „Es ist bedrückend, dass sich Ältere oft keine Brille, Zahnersatz oder Vorsorge mehr leisten können“, sagt Anacker. Pflegebedürftigkeit ist ebenfalls ein Armutsrisiko: Das Geld reiche oft nicht, um ambulante Pflegedienste oder Haushaltshilfen im benötigten Umfang zu bezahlen, trotz Pflegeversicherung.
Bittere Armut im Alter wird zunehmen, sagen alle Prognosen. „Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet heute schon im Minisektor. Ein Minilohn gibt später eine Minirente“, erklärt Armutsforscher Christoph Butterwegge. „Wir steuern in eine Zukunft, in der eine auskömmliche Rente selten wird.“
1996 machte die gesetzliche Rente nach 45 Jahren Einzahlung 70 Prozent des letzten Bruttogehalts aus, 2030 werden es nur noch 43 Prozent sein. „Und gerade die Geringverdiener, die eine Ergänzung zur gesetzlichen Rente dringend bräuchten, können sich eine zusätzliche Altersvorsorge wie Riester nicht leisten.“
Die Rentenerhöhungen fallen seit Jahren gering aus. Eine höhere Inflation lässt die Kaufkraft sinken. Die Bundesregierung will nach der Sommerpause zur Armutsbekämpfung einen „Regierungsdialog Rente“ starten und Sozialverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Wissenschaft beteiligen. Viele sind skeptisch. Butterwegge meint: „Diese Show-Veranstaltung wird keine Probleme lösen.“ Der 79-jährige Manfred Birk sagt: „Von der Politik haben wir Rentner nichts zu erwarten.“