Die Enttäuschung der emanzipierten Frau
Berlin (dpa) - Es ist wieder soweit, meint Feministin Alice Schwarzer. Die Frauen seien wieder bereit, sich zu organisieren. Viele seien enttäuscht, auch von Kanzlerin Merkel. Gibt es eine neue Frauenbewegung?
Berlin (dpa) - Es ist wieder soweit, meint Feministin Alice Schwarzer. Die Frauen seien wieder bereit, sich zu organisieren. Viele seien enttäuscht, auch von Kanzlerin Merkel. Gibt es eine neue Frauenbewegung?
Alice Schwarzer fühlt sich an die wilden 70er Jahre erinnert. „Die Frauen sind wieder unzufrieden“, sagt die Frontfrau des deutschen Feminismus. Zwei von drei Frauen fühlten sich vernachlässigt und allein gelassen von Politik und Wirtschaft. Doch sie seien kämpferisch und bereit, sich für ihre Interessen wieder zusammenzuschließen. Diesen Schluss zieht die 70-Jährige aus einer neuen Emanzipations-Umfrage des Allensbach-Instituts. Wittert Schwarzer eine neue Frauenbewegung?
Die steigende Unzufriedenheit liege vor allem an öffentlichen Debatten über ungleichen Lohn, Quoten und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sagt Schwarzer. Aber auch an der Enttäuschung zahlreicher Frauen, die seit den 70er Jahren in die Parteien geströmt seien, in der Hoffnung, etwas zu ändern.
Doch reicht das schon für eine neue Frauenbewegung? Nein, meint die Berliner Frauenforscherin Ulla Bock. Zwar seien junge Frauen sensibel geworden und kämpften für ihre Interessen. „Doch die Rebellion gegen Diskriminierung splittet sich jetzt mehr auf.“ Es fehle das Wir-Gefühl der 70er Jahre, der gemeinsame Nenner der unterschiedlichsten Frauen-Interessen.
Ein gemeinsamer Nenner könnte der Allensbach-Umfrage zufolge die Unzufriedenheit mit dem Verdienst sein. Die Frage sei, ob in Frauenbranchen wie der Medizin oder Bildung ähnlich gut honoriert werde wie in Männerbranchen, sagte Allensbach-Chefin Renate Köcher. Auch beim Karriere-Machen und in der Hausarbeit sehen sich wenige Frauen gleichberechtigt.
Groß ist auch die Enttäuschung über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zwar sind Frauen laut Köcher sehr viel optimistischer, ihre Interessen durchzusetzen, seit Merkel an der Spitze des Staates steht. Immerhin 34 Prozent finden, sie mache eine „andere Art von Politik“ als ein Mann. Doch zugleich sagt nur jede dritte Frau, dass sich die Kanzlerin genug für Frauen einsetzt. Fast 40 Prozent meinen, sie tue das nicht.
Dazu gehört auch Schwarzer: „Ich erwarte nicht von der Kanzlerin, dass sie mit feministischem Flammenschwert vorangeht“, betont die Frauenrechtlerin. Merkel habe zuletzt andere politische Schwerpunkte gehabt - und wohl auch das psychologische Problem, die Herren nicht noch mehr zu reizen. Doch sie sei schon enttäuscht, dass das Wort „Frau“ im Wahlkampf nicht auftauche, sagt die 70-Jährige. Merkel könne sich beim Stimmenfang eben nicht darauf verlassen, dass sie eine Frau sei.
Doch immerhin ist Merkel der Umfrage zufolge noch für 34 Prozent der Befragten ein Vorbild. Auch Michelle Obama und Steffi Graf landen bei über 30, Mutter Teresa sogar bei 75 Prozent. Schwarzer dagegen ist nur noch für 23 Prozent der Frauen ein Vorbild. Mehr als jede dritte Befragte meint, sie habe oft zu radikale Ansichten. Jede vierte kritisiert, sie akzeptiere andersdenkende Frauen nicht.