Ein Park voller Engel - Der Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf
Hamburg (dpa/tmn) - Der Ohlsdorfer Friedhof ist riesig. Er gilt als der größte Europas. Und viele Hamburger halten ihn für den schönsten der Welt. Zu entdecken gibt es dort eine Menge. Man muss nur etwas Zeit mitbringen - ein Schnelldurchlauf bringt nichts.
Wer durch den Haupteingang geht, steht kurz danach an einer Bushaltestelle. In Ohlsdorf ist eben vieles ein bisschen anders und manches ein bisschen merkwürdig - jedenfalls für einen Friedhof. Die Straßen hier sind so breit wie anderswo in Hamburg auch. Die Busse der Linien 170 und 270 fahren insgesamt 22 Haltestellen an. Autos sind ebenfalls oft zu sehen, kein Wunder: Die Entfernungen auf dem Friedhof sind im Zweifelsfall weit. Ohlsdorf gilt als der größte Friedhof Europas und steht als der größte Parkfriedhof der Welt im „Guinness Buch der Rekorde“. Für viele Hamburger ist er auch der schönste.
Rund 1,4 Millionen Beisetzungen gab es seit der Eröffnung 1877, etwa 235 000 Grabstellen existieren heute. Genau weiß das natürlich keiner, aber geschätzt um die 1,2 Millionen Besucher kommen jährlich. Und das Straßennetz ist 17 Kilometer lang. Aber das ist eine sehr theoretische Größe. Die vielen kleinen nicht asphaltierten Wege mitgerechnet, kann man ein Vielfaches davon zurücklegen, wenn man den Ohlsdorfer Friedhof besucht.
Friedhof ist eigentlich gar kein ganz passender Begriff, um zu beschreiben, was einen dort im Hamburger Norden erwartet: Es gibt mehrere sogenannte Freilichtmuseen, ein Museum für Bestattungskultur, einen Naturlehrpfad und das alles auf einem riesigen, fast 400 Hektar großen Gelände. Dort stehen allein rund 35 000 Bäume, erzählt Helmut Schoenfeld, Gründungsmitglied des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof.
Kiefern, Birken und Eichen gehören dazu, meterhohe, Jahrzehnte alte Kastanienbäume oder mächtige Blutbuchen. Bei einer Zählung Mitte des 20. Jahrhunderts kamen mehr als 300 verschiedene Laubgehölze zusammen. „Dieser Artenreichtum ist schon eine Besonderheit“, sagt Schoenfeld.
Uniforme Gräberfelder, bei denen die Toten in Reih und Glied nebeneinander in die Erde kommen, waren in Ohlsdorf nie gefragt: Manchmal ragt ein einzelnes Holzkreuz zwischen den Zweigen eines Baumes hervor, manchmal steht ein riesiger Findling auf dem Grab, manche Grabplatten sind heute fast vollständig mit Moos überzogen. Aber es gibt auch aufwendig gestaltete Mausoleen oder Familiengrabstätten mit steinernen Urnen.
Die Anlage sollte von Anfang an mehr sein als ein Friedhof. Dem Gartenarchitekten Wilhelm Cordes, dem ersten Ohlsdorfer Friedhofsdirektor, ging es auch darum, einen öffentlich zugänglichen Park zu schaffen und entsprechend zu gestalten. Den Hamburger Stadtpark gab es damals noch nicht. „Der Friedhof soll nicht eine Stätte der Toten und der Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll alles dem Besucher entgegentreten“, hat er sein Ziel einmal formuliert. Und so ist der Friedhof auch angelegt wie ein Landschaftspark.
Ohlsdorf ist auch die erste Adresse für Hamburger Prominenz. „Deren Gräber zu besuchen, ist für viele ein wichtiger Grund, auf den Friedhof zu kommen“, sagt Helmut Schoenfeld. Hans Albers liegt hier begraben, der Schauspieler, Sänger und Sohn eines Hamburger Schlachtermeisters, der mit Gassenhauern wie „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ berühmt wurde. Oder der Schriftsteller Wolfgang Borchert, dessen Drama „Draußen vor der Tür“ den Kriegsheimkehrern eine Stimme gab.
Aber auch der Schauspielhaus-Regisseur Gustaf Gründgens, der „Reeder des Kaisers“ Albert Ballin, der Verleger John Jahr, die Schauspielerin Inge Meysel oder der Gründer des Hamburger Zoos Carl Hagenbeck sind in Ohlsdorf begraben. Die Prominenten lägen allerdings nicht an einer Stelle des Friedhofs, sagt Schoenfeld.
Was moderne Bestattungsarten angeht, gibt es in Ohlsdorf ebenfalls kaum etwas, das es nicht gibt: Eine große Rasenfläche beispielsweise, mit Bänken an zwei Seiten, ist den Baumgräbern vorbehalten. Dort sind die Urnen unter Eichen und Birken beigesetzt worden. Vasen stehen dort, mit frischen Nelken oder auch nur einer einzelnen Rose. Ungewöhnlich sind auch die Grabstätten mit Variationen des Schmetterlingsmotivs. Mit dem Symbol des Falters, der aus der Raupe entsteht, soll der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang dargestellt werden. Und siehe da: Über dem Staudenbeet flattert tatsächlich ein Kohlweißling in der Nachmittagssonne.