„Eine ganz neue Perspektive“ - Senioren in der Rikscha
Berlin (dpa) - „Hab' mein Wagen vollgeladen, voll mit alten Weibern“, singen Adelheid Scheller und Christa George. Ihre grauen Haare wehen im Fahrtwind. Die 71-Jährigen sitzen nebeneinander in einer Rikscha und werden durch Berlin kutschiert.
Ihr Fahrer ist Calle Overweg. Er chauffiert seit einigen Monaten als ehrenamtlicher Rikscha-Fahrer Senioren durch Berlin. „Die Fahrten sind Geschenke, die man sich gegenseitig macht“, sagt der 53-Jährige. Einmal pro Woche holt er zwei Bewohner des Seniorenzentrums Schöneberg ab. Mit ihnen geht es zwei Stunden in den Park am Gleisdreieck, zum Eiscafé oder zu einer Ausstellung. Er schenke seinen Passagieren eine Rundfahrt und bekomme etwas von ihrer Freude ab, sagt der freiberufliche Dokumentarfilmer.
Die Tour scheint Adelheid Scheller und Christa George zu gefallen. Sie winken Kindern auf Rollschuhen zu, zitieren Goethes Zauberlehrling und singen Heinz Rühmanns Lied „Ein Freund, ein guter Freund“. „Man begreift so ein bisschen, worum es im Leben geht“, sagt Overweg. Um Freude und gute Laune. Und die haben seine Passagiere - trotz eines kranken Beins, eines Schlaganfalls oder des Tods des Ehemanns. Auch die Menschen, an denen das Gespann vorbeifährt, lächeln. Eine Passantin sagt: „Toll, ich will auch so was!“.
Overweg stieß bei Recherchen für einen Film auf die dänische Initiative Radeln ohne Alter, die seit 2012 Rikscha-Fahrten für ältere Menschen organisiert. Overweg habe die Idee sofort toll gefunden, „wie alle, die halbwegs gern Fahrrad fahren und ein Herz haben“, sagt er. Mittlerweile hat Radeln ohne Alter auch in anderen Ländern, etwa Schweden, den USA und Österreich, Nachahmer gefunden. Die Berliner Initiative gründete Anfang September einen Verein.
Anders als in Touristen-Rikschas sitzen die betagten Passagiere vorn und haben freien Blick auf das Geschehen um sie herum. „Das ist eine ganz andere Perspektive“, ruft Adelheid Scheller. Sie sei schon lange nicht mehr so weit vom Seniorenzentrum an der frischen Luft unterwegs gewesen. Solch eine Entfernung zu Fuß zurückzulegen, wage sie nicht mehr. Meist werde sie mit dem Auto gefahren.
„Viele, die sich nicht mehr raustrauen, kommen in die Vereinsamung“, sagt Joachim Klein vom Senioren-Ortsverband im brandenburgischen Bernau. Die Rikscha-Fahrten seien eine gute Idee, um gegenzusteuern. Wichtig sei aber auch, dass sich ältere Menschen selbst bewegten, etwa bei kleinen Spaziergängen ums Haus.
Overweg bekommt Unterstützung von sechs Fahrern. Einer von ihnen sei pensionierter Stadtplaner, ein anderer Angestellter bei der Stadt. So habe man in den vergangenen Wochen jeden Tag mindestens eine Fahrt anbieten können. Overweg hat die Fahrer selbst ausgebildet. In einem Fahrtraining zeigte er ihnen, wie sie die Rikscha lenken, am Berg anfahren und wann sie die elektronische Unterstützung einschalten. „Nicht Top-Sportler sollen die Leute durch die Gegend fahren, sondern Hinz und Kunz“, begründet er die Strampel-Hilfe.
Eine Berlinerin stellt die Rikscha zur Verfügung. Sie habe damit ihren Vater umhergefahren, erzählt Overweg. Für einen eigenen Wagen sammle Radeln ohne Alter in Berlin gerade Spenden. Etwa 5500 Euro würden gebraucht, sagt Overweg.
Bei der Planung der Rikscha-Fahrten ist Overweg auf die Mitarbeit des Seniorenzentrums angewiesen. „Wenn alle Lust haben, kommt das zustande“, sagt er. Eine Sozialarbeiterin nimmt die Wünsche der Bewohner auf und regelt, wer zur nächsten Tour aufbricht.