Erst mit 29 Jahren Mutter - „Umstände verhindern das Ideal“
Wiesbaden (dpa) - Längere Ausbildungszeiten, mehr Freiheiten und höhere Ansprüche: Frauen in Deutschland bekommen immer später Kinder. Aber welche Vor- und Nachteile hat das?
Bei der Geburt ihres ersten Kindes sind Frauen in Deutschland im Schnitt 29 Jahre alt. „Viele wollten eigentlich früher Kinder haben. Die Umstände verhindern aber das Ideal“, sagt Jürgen Dorbritz vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden. Als das richtige Alter für das erste Kind sehen die Menschen in Deutschland 27 Jahre für Frauen und 29 Jahre für Männer. Das ergab eine repräsentative Umfrage des BiB unter 4000 Menschen im Alter von 20 bis 39 Jahren. Welche Chancen und Risiken haben ältere Eltern und ihre Kinder?
Das seit Jahren steigende Alter von Frauen beim ersten Kind wirke sich auf das Geburtenniveau insgesamt aus, sagt Dorbritz. Denn die Statistik zeige: „Wer drei Kinder hat, hört nicht später auf, sondern fängt früher an.“
Das Risiko von Fehl- und Frühgeburten steige bei Frauen über 40, betonen die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie der Berufsverband der Frauenärzte. Jedes Fünfte Neugeborene in Deutschland hat laut Statistischem Bundesamt bereits eine Mutter, die mindestens 35 Jahre alt ist.
„Je älter eine Frau, desto höher ist auch die Erkrankungsgefahr allgemeiner Art“, sagt Bettina Toth von der DGGG, die auch Professorin der Uni-Klinik Heidelberg ist. Um Risikogruppen - wie beispielsweise schlecht eingestellte Diabetes-Patientinnen - früh zu erreichen, sollten Gynäkologen mehr Augenmerk auf die frühe Beratung von Frauen legen. „Sie sollten schon junge Frauen auf eine Schwangerschaft vorbereiten.“
Viele Frauen vertrauten zu sehr darauf, dass die moderne Medizin schon alles richten werde, sagt der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte, Christian Albring. „Aber wenn die Frau unsportlich, unfit, mit Übergewicht und mit einem erhöhten Alter in die Schwangerschaft geht, dann fordert sie in gewisser Weise ihr eigenes Schicksal und das ihres Kindes heraus.“ Viele Frauen wollten davon in der Beratung aber nichts wissen. Albring fordert eine öffentliche Diskussion über die Risiken später Familiengründungen.
Denn auch nach der Geburt könne sich das Alter der Mütter gesundheitlich nachteilig auswirken: „Wir sehen bei älteren Müttern längere Erholungszeiten nach Kaiserschnitten und auch nach natürlichen Geburten“, sagt Albring. „Zudem haben sie oft weniger Reserven für die kraftraubende erste Zeit mit dem Baby und mit Klein- und Schulkindern, für die Schlafunterbrechungen für Stillen und Wickeln, leiden häufiger unter schweren Rückenschmerzen durch das Tragen.“ Toth ergänzt: „Auch Väter um die 60 stoßen mit ihren körperlichen Möglichkeiten an Grenzen.“
„Die Wahrscheinlichkeit, Geschwister zu bekommen, die Eltern noch lange zu erleben und viel Zeit mit den Großeltern zu verbringen, ist geringer“, zählt Andreas Eickhorst vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) Nachteile auf. Zudem müssten Kinder älterer Eltern oft Hänseleien von Freunden ertragen. Manche wüchsen auch mit schweren Krankheiten eines Elternteils auf.
Psychologe Eickhorst und Geschlechterforscherin Waltraud Cornelißen vom DJI betonen dennoch vor allem die Chancen für ältere Eltern und ihre Kinder. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass spätere Mütter schlechtere Mütter sind“, sagt Cornelißen. „Ältere Paare haben meist bessere Voraussetzungen als sehr junge Paare.“ Als Beispiel nennen die Wissenschaftler höhere Einkommen, stabilere Partnerschaften und mehr Lebenserfahrung. „Ältere Paare sind auch meistens besser auf die Geburt eines Kindes vorbereitet“, sagt Eickhorst. „Die Chance auf eine gute Eltern-Kind-Beziehung ist bei Älteren höher.“
Weshalb aber bekommen Paare ihre Kinder immer später? Längere Ausbildungswege, Mobilität im Berufsleben und die Freiheit, sich später für eine feste Beziehung entschieden zu können, nennen Fachleute als Gründe. Zum Leitbild verantworteter Elternschaft gehöre zudem, den Kindern möglichst viel bieten zu können, vom schönen eingerichteten Zimmer über modische Kleidung bis zur optimalen Förderung und Bildung, sagt Bevölkerungswissenschaftler Dorbritz. „Viele bekommen erst Kinder, wenn das alles erfüllt ist.“