Gemeinsam statt solo: WGs für Alleinerziehende
Berlin (dpa/tmn) - Eine WG kann Alleinerziehenden viele Sorgen nehmen: Die Kinder haben jemanden zum Spielen, Mütter und Väter Gleichgesinnte. Damit das Modell aber in der Praxis funktioniert, brauchen alle Beteiligten viel Zeit zum Kennenlernen.
Die Aufgaben im Job stemmen, die Hausaufgaben der Kinder prüfen, Sprössling eins zum Musikunterricht bringen, Sprössling zwei zum Fußball, den Haushalt wuppen - berufstätige Eltern haben Managerqualitäten. Noch größer ist die Herausforderung an Alleinerziehende, die im Alltag alle Bälle allein jonglieren. Um dies zu ändern, tun sich viele in Wohngemeinschaften zusammen.
„In einer WG mit anderen Alleinerziehenden und deren Kindern kann man sich gegenseitig entlasten“, sagt Elisabeth Küppers, Geschäftsführerin des Berliner Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).
Eine große Sorge, die viele Alleinerziehende umtreibt, ist die Angst vor Krankheit. „Allein zu wissen, dass ich den Rückhalt von neun anderen Frauen in unserem Haus habe, dass da jemand ist, bedeutet eine Stärkung“, erklärt Marie Heinemann (Name geändert). Die 45-Jährige lebt mit ihren beiden Söhnen, 12 und 14 Jahre alt, seit acht Jahren im Wohnprojekt Frida in Nürnberg.
Eine Wohngemeinschaft hat weitere Vorteile für Kinder: Einzelkinder wachsen mit anderen Kindern auf, bekommen Anregungen von verschiedenen Menschen. Im Idealfall ist es eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt und füreinander da ist, wie einst die Großfamilie.
Doch die Experten warnen vor romantischer Verklärung. Es beginnt damit, sich selbst ehrlich zu prüfen. Einsamkeit oder soziale Isolation sind oft Beweggründe, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. „Die Gemeinschaft kann die eigenen Probleme lindern, aber nicht lösen“, sagt Marie Heinemann. Die Eigenverantwortung bleibe.
Auch sollte man zunächst für sich überlegen, was einem selbst im Leben wichtig ist, worauf man bei der Kindererziehung Wert legt und inwieweit ein anderer eingreifen darf. „Man muss bereit sein, ein Stück weit auf die eigene Privatsphäre zu verzichten“, sagt Prof. Elisabeth Sander, Psychologin an der Universität Koblenz.
Sind potenzielle WG-Kandidaten gefunden, reicht zweimal Kaffeetrinken zum Kennenlernen und grundsätzliche Sympathie jedoch nicht. „Man sollte sich gegenseitig in der jetzigen Wohnung besuchen“, rät Sander. „Das verrät einiges darüber, wie der andere lebt.“
Regina Lessenthin vom Berufsverband der Deutschen Psychologen (BDP) empfiehlt außerdem, mit der anderen Familie viel zu unternehmen, sich regelmäßig zu treffen, gemeinsam einzukaufen und zu kochen. Dabei gilt es, das Miteinander zu beobachten.
Die Fachleute sind sich einig: Erst über Monate könne man einschätzen, ob die Familien zusammenpassen und sich die Werte, die Lebens- und Erziehungsvorstellungen ähneln.
Und natürlich steht und fällt das Zusammenleben mit den Kindern: Eine WG ist nicht möglich, wenn sie sich nicht leiden können oder aggressiv miteinander umgehen. Sofern sie den anderen eher neutral betrachten oder sogar nett finden, hat eine WG gute Chancen. „Man darf nicht erwarten oder darauf bestehen, dass die Kinder etwas gemeinsam unternehmen. Auch Geschwister spielen nicht unbedingt zusammen“, sagt Sander.