Genie im Kinderzimmer: Was sich mit Hochbegabung verändert
Bonn (dpa) - Wenn man Heinz Reinders fragt, woran es liegt, dass viele bei Hochbegabten nicht nur brillante Gedankengänge sondern auch allerlei psychologische Auffälligkeiten vermuten, antwortet er prompt: „An Sheldon Cooper.“
Der Bildungsforscher von der Uni Würzburg hat sich schwerpunktmäßig mit Hochbegabung beschäftigt. An ihrer Darstellung in Filmen und Serien lässt er kein gutes Haar - etwa an der Figur des ebenso genialen wie nervtötenden Physikers Sheldon Cooper in der erfolgreichen Sitcom „Big Bang Theory“.
„Wenn in Filmen und Serien ein Hochbegabter schnell erkennbar sein soll, wird er in der Regel mit sozialen Stigmata belegt. Er ist sozial inkompetent, er versteht keinen Humor oder nur seinen eigenen, sehr schrägen“, sagt Reinders. Er widerspricht so einem Bild vehement: „Hochbegabte verfügen über ganz normale sozio-emotionale Kompetenzen.“
Dass es das Klischee von Genie und Wahnsinn immer noch gibt, das wissen die Teilnehmer des Deutschland-Treffens von „Mensa“, das noch bis zum Sonntag in Bonn stattfindet, auch. Der Verein betrachtet sich als Zusammenschluss hochintelligenter Menschen. Wer Mitglied werden will, muss bei einem IQ-Test besser abschneiden als 98 Prozent der Bevölkerung.
In Deutschland hat „Mensa“ nach eigenen Angaben rund 12 500 Mitglieder. Zu dem Bonner Treffen laden sie aber ausdrücklich alle ein, die einfach Interesse haben, sich den Verein mal genauer anzuschauen. Eine politische Botschaft gebe es nicht, sagt Eva Kalbheim aus dem Organisationskomitee. Aber klar, das Thema Vorurteile komme immer mal wieder auf.
Die Krux an der Hochbegabung ist, dass sie Erwartungen weckt. Manchen Eltern ist gar nicht so wohl bei dem Gedanken, ihr Kind könnte einen sehr hohen IQ besitzen. „Bei Familien, in denen Bildung bislang vielleicht nicht so wichtig war, löst eine festgestellte Hochbegabung mitunter Stress und Sorge aus“, berichtet André Jacob, der die Arbeitsstelle Hochbegabung in Berlin leitet. Beispielsweise müssten in den Wohnungen Bedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, mehr für die Schule zu machen.
In anderen Fällen würde die Begabung als schmückendes Etikett betrachtet - ohne die sozialen Folgen für das Kind zu sehen. „Und es gibt eine dritte Gruppe, bei der die Kinder nach festgestellter Hochbegabung durch ihre Eltern unter besonders hohen und permanenten Leistungsdruck gesetzt werden“, sagt Jacob. Die britische Forscherin Joan Freeman habe das in einer Studie dokumentiert. Dort habe eine junge Frau berichtet, wie sich ihre Eltern plötzlich verhielten, nachdem ihre Hochbegabung festgestellt worden war. „Was sie auch tat, es war nicht mehr gut genug.“ Bildungsforscher Reinders stellt aber immerhin fest: „Der Regelfall ist, dass Familien damit gut klarkommen.“
Auf der anderen Seite sind manche Eltern so fasziniert vom Gedanken an das Genie im Kinderzimmer, dass sie die Realitäten verkennen. Diplompsychologe Jacob berichtet von einem Fall aus seiner Beratungsstelle. Eine Mutter stellte dort ihren Sohn vor - er sei hochbegabt und verhaltensauffällig. Jacob sprach mit dem Jungen und wurde skeptisch. Schließlich rechnete er die Testergebnisse nach, die eine Kollegin erstellt hatte - sie hatte sich schlicht vertan.
„Das war für die Familie eine herbe Enttäuschung und eine große Desillusionierung“, berichtet er. „Der Junge war der Erstgeborene, der auch der Hochbegabte und damit der Durchstarter und Wunscherfüller der Familie werden sollte, der Stern der Familie.“ Da sei eine ganze Welt zusammengebrochen.