Gewalt in der Kindheit wird zur Elternfalle
Mainz (dpa) - Aller Aufklärung zum Trotz bleibt häusliche Gewalt auch für kommende Generationen ein Problem. Beziehungstraumatische Ereignisse wie wiederholte Misshandlung in der Kindheit würden vielfach von Generation zu Generation weitergetragen, erklärt der Münchner Traumaforscher Markos Maragkos.
„Je schwerer die Mütter traumatisiert sind, desto eher erfahren die Kinder Gewalt.“ , sagt Maragkos. Wie dieser Kreislauf durchbrochen werden kann, war nun das Thema einer Fachtagung mit rund 200 Sozialarbeitern, Beratern, Wissenschaftlern und Polizisten in Mainz. „Gewalt in engen sozialen Beziehungen ist keine Privatangelegenheit, sie geht uns alle an“, sagte der rheinland-pfälzische Innenstaatssekretär Günter Kern (SPD).
Sozial- und psychotherapeutische Angebote sollen Auswege aus scheinbar ausweglosen Situationen und von Gewalt geprägten Beziehungskonstellationen schaffen. Mit Blick auf die Veranstalter der Tagung, die in der sogenannten Täterarbeit aktiven Beratungseinrichtungen der Initiative „Contra häusliche Gewalt“, sagte Kern, auch in Zeiten der Schuldenbremse werde das Land Rheinland-Pfalz Mittel für weitere Unterstützung bereitstellen.
„Gewalt in der Kindheit zerstört die Art und Weise, wie Grundbedürfnisse wahrgenommen werden, etwa das Bedürfnis nach Nähe“, erklärte der Traumaforscher Maragkos. Wenn diese Bedürfnisse später bei den eigenen Kindern erlebt würden, fehlten den Eltern dann die Möglichkeiten, so darauf einzugehen, dass es gut für die Kinder sei - nicht weil sie es nicht besser machen wollten, sondern weil sie es nicht könnten. „Wenn Eltern in der eigenen Kindheit traumatisiert wurden, haben sie in der Regel keine guten Strategien, mit Stress umzugehen“, sagte Maragkos. „Dadurch haben sie eingeschränkte Erziehungskompetenzen.“ Die Kinder wiederum müssten so ohne ein Vorbild aufwachsen, wie Stress sinnvoll verarbeitet werden könne.
Der 55-jährige Manfred R. sagt in einem Video der Initiative „Contra häusliche Gewalt“: „Wenn man mit Gewalt groß geworden ist und nur noch das im Kopf hat, reagiert man selbst nur noch mit Gewalt.“ Als Kind seien er und seine Mutter von seinem Vater geschlagen, mit Worten beleidigt und eingesperrt worden. Als Ziel für seine Mitwirkung in der Beratungsarbeit nannte er: „Dass ich brav bin, dass ich einfach nicht mehr aggressiv reagiere“ in Situationen, „wo ich sonst beherzt zugeschlagen hätte“.
Der Neuropsychologe Thomas Elbert von der Universität Konstanz erklärt, Gewalt sei eine Reaktion des Gehirns auf äußere Reize. Untersuchungen zeigten, „dass mit zunehmender familiärer Gewalterfahrung nicht nur die Zahl der Straftaten steigt, sondern auch die Lust, diese Straftaten zu begehen“.
Für die Faszination von Gewalt seien vor allem Jugendliche und junge Männer im Alter von 14 bis 20 Jahren anfällig, erklärt Elbert. Gestützt auf die Ergebnisse eigener Forschungen in Burundi und Tansania sagte Elbert: „Traumatische Erfahrungen im Krieg zusammen mit einer schwierigen Kindheit begünstigen die Lust, selbst gewalttätig zu werden.“
Schon während der Schwangerschaft bleibe das sich entwickelnde Kind nicht unbeeinflusst von Gewalt- und Stresserfahrungen seiner Mutter. Bei dem werdenden Kind werde über neurochemische Signale dann ein anderer Entwicklungsschalter eingestellt. Dem Kind werde über das Stresshormon Cortisol signalisiert, dass es auf der Hut sein müsse, weil es in eine gefährliche Umwelt komme. „Wir werden zu anderen Wesen gemacht, wenn wir uns unter diesen Bedingungen entwickeln müssen.“ Auf dem Weg zu einer friedlichen Gesellschaft, so führte Elbert aus, habe die therapeutische Täterarbeit eine große Bedeutung - dazu gehöre auch Empathie für Täter.