Inzest: Verbotene Liebe – warum?

Ein Geschwisterpaar aus Leipzig, das zusammen vier Kinder hat, kämpft für die Straffreiheit seiner sexuellen Beziehung.

Berlin. Während viele türkische Cousinen gezwungen werden, ihren Vetter zu heiraten, wandern deutsche Männer ins Gefängnis, wenn sie mit ihrer erwachsenen Schwester schlafen. Das Geschwisterpaar aus Leipzig, das zusammen vier Kinder bekommen hat, versucht gegen das Inzest-Verbot anzukämpfen. Derweil streiten sich die Politiker, ob der Paragraf 173 im Strafgesetzbuch - "Beischlaf zwischen Verwandten" - überholt ist.

Seit dem Mittelalter werden hier zu Lande erwachsene Verwandte bestraft, die miteinander Sex haben. Auch heute noch drohen ihnen drei Jahre Haft. In anderen Ländern ist Inzest straffrei: Nicht nur in der Türkei, sondern auch in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. Dort hätte sich das deutsche Geschwisterpaar, das getrennt aufgewachsen ist, nicht vor Gericht verteidigen müssen. Der heute 30-Jährige ignorierte eine frühere Bewährungsstrafe und bekam mit seiner acht Jahre jüngeren Schwester weitere Kinder. Während die junge Frau nach dem Jugendstrafrecht verurteilt und einem Betreuer unterstellt wurde, sollte ihr Bruder ins Gefängnis gehen.

Das moralische Verbot, das eine Geschwisterheirat tabuisiert, respektiert der SPD-Rechtsexperte Dieter Wiefelspütz. An dem gesetzlichen hat er jedoch so seine Zweifel: "Wenn erwachsene Menschen sich lieben, sollte man sie deswegen nicht hinter Gitter setzen."

Jerzy Montag, Rechtsexperte der Grünen, sieht den Paragrafen ähnlich kritisch: "Das Gesetz ist ein Überbleibsel aus vormodernen Tagen. Es ist höchste Zeit, diesen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen." Mit dieser alten Regelung wollte man einst die

Bevölkerung vor Erbkrankheiten schützen. "Heute haben wir aber keine natürliche Verbindung mehr zwischen Geschlechtsverkehr und dem Zeugen von Kindern", so Montag zu unserer Zeitung. Das Gesetz bestrafe aber bereits den Geschlechtsverkehr, bei dem die Partner auch verhüten können. Zudem sollte es keinem Paar verboten werden, Kinder zu bekommen. Das gelte schließlich auch für solche, die nicht verwandt sind und eine erbliche Störung haben. "Den Staat hat es einfach nicht zu interessieren, wenn erwachsene Menschen miteinander schlafen wollen."

Das sehen Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der Union, und Norbert Geis von der

CSU allerdings völlig anders. Sie möchten den Paragrafen beibehalten. "Strafrecht ist immer - anders als Naturwissenschaften - auch geprägt vom Zeitgeist und dem sittlichen Empfinden einer Gesellschaft", sagte Gehb. Geis will durch das Gesetz den Schutz der Familie, die psychische Unversehrtheit der Betroffenen und den Schutz vor Krankheiten bei Kindern gewährleisten.

Die Liste der möglichen Erbkrankheiten ist Jörg T. Epplen zufolge relativ lang. Der Professor für Humangenetik an der Ruhr-Universität Bochum betont aber auch, dass diese genetischen Defekte selten vorkommen. Bei einem Paar, das nicht direkt miteinander verwandt ist, liege statistisch gesehen das Risiko, dass das Kind mit einer genetischen Störung geboren wird, bei drei Prozent. Bei Cousinen und Vettern ersten Grades steigere sich die Gefahr auf bis zu acht Prozent. Und bei Inzest-Beziehungen bekämen zehn von hundert Kindern eine Störung.