Pflege im Alter: Neue Konzepte und Heime im Wandel
Berlin (dpa) - Beim klassischen Pflegeheim denken viele alte Menschen an Wegsperren und Vergessen. Doch oft haben hier inzwischen familienähnliche Strukturen Einzug gehalten. Und die Zahl der Alternativen wächst.
Kaninchen mümmeln im Hinterhofgarten in ihren Käfigen. Zwei Zwergschnauzer-Welpen auf Besuch tapsen unsicher über den Rasen. Ein helles Café lädt zum Schwätzchen ein. Nach dem Klischee des klassischen Altenheims mit langen Fluren und karger Einrichtung sieht die Berliner „Villa Albrecht“ nicht aus. Damit liegt das Haus des Deutschen Roten Kreuzes im Trend. Immer mehr Pflege-Anbieter bauen um oder bauen neu. Mit Wohngruppen oder einem Mix von Betreuungsangeboten gehen sie neue Wege.
Der Bedarf an Hilfe in Deutschlands alternder Gesellschaft wird immer größer. Rund 2,3 Millionen Pflegebedürftige gibt es nach den jüngsten Zahlen des Bundesfamilienministeriums. Fast ein Drittel lebt in insgesamt rund 11 600 Pflegeheimen. Fast 70 Prozent werden noch zu Hause betreut, von Angehörigen und mit Hilfe von Pflegediensten. Doch diese Tradition ist im Wandel. Immer weniger Kinder wohnen in der Nähe ihrer Eltern. Und längst nicht mehr alle Senioren haben Kinder.
Was also tun, wenn es zu Hause nicht mehr geht? Die „Villa Albrecht“ ist ein Beispiel für einen Mix, zu dem der Begriff Heim nicht mehr passt. Unter einem Dach gibt es Mietwohnungen, in denen Bewohner bei Bedarf Hilfen hinzubuchen können. Dazu kommt ein Pflegeangebot, bei dem Senioren nur tagsüber betreut werden. Stationär arbeitet die Wohngemeinschaft für Demenzkranke. Alle drei Angebote seien so kalkuliert, dass sie mit Mindestrenten und - bei Pflegeanspruch - über die Pflegeversicherung bezahlt werden könnten, sagt der Berliner DRK-Sprecher Rüdiger Kunz.
Dahinter steht ein menschliches Konzept, das auf größtmögliche Selbstständigkeit und Freiheit im Alter setzt. Es geht aber auch ums Geld. Klassische Heimplätze können heute so teuer sein, dass sie sich wenig rechnen. Darüber hinaus gilt politisch die Devise: ambulant vor stationär. Irgendwie noch zu Haus bleiben zu können, ist dabei immer kostengünstiger.
Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, wenn morgens Erwachsene über 50 ihre betagten Mütter oder Väter zur Tagespflege in die „Villa Albrecht“ bringen. Im Nachbarhaus geben junge Eltern gleichzeitig ihren quirligen Nachwuchs im Kindergarten ab. Doch genau diese Mischung der Generationen ist gewollt in diesem Altbauviertel.
Um die beste Wohnform im Alter gibt es heiße Diskussionen. Für Thomas Risse, Geschäftsführer der KCR-Sozialberatungsfirma in Gelsenkirchen, sind sie müßig. Risse organisiert Kongresse für innovative Lebenskonzepte im Alter. Für ihn geht es nicht um eine Entscheidung zwischen Heim, WG, edler Seniorenresidenz oder Wohnpark mit Pflegeservice. Entscheidender sei das Wohlbefinden, betont er.
Nach Risses Erfahrung tragen dazu vor allem familienähnliche und alltagsnahe Strukturen, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit bei. Wichtig seien auch Verbindungen nach draußen - in das Leben eines Viertels. Darüber hinaus müssten sich Konzepte an dem Bedürfnis nach Liebe, Trost, Einbindung und sinnvoller Betätigung orientieren.
Auch die Wissenschaft hat beim Thema Lebensqualität im Alter inzwischen das „subjektive Wohlbefinden“ im Blick. In Berlin versucht Denis Gerstorf, Psychologie-Professor an der Humboldt-Universität, herauszufinden, warum die Lebensfreude bei manchen Senioren in den letzten Lebensjahren abnimmt - und bei anderen nicht. Im Visier des Forschers steht die Frage: Eine wie große Rolle spielt das Gefühl, noch viel Kontrolle über das eigene Leben zu haben?
Schon länger diskutiert die Pflegefachwelt, wie das Leben in einem Heim Freude machen kann. Sinnvoll sei es zum Beispiel, Wohnküchen zu schaffen, als zwanglose Orte der Begegnung, raten Experten. Und bitte ohne Kochzwang. Denn viele Männer wollten im Alter nicht plötzlich Möhren schnippeln. Gut sei eine große Küche für eine feste Wohngruppe von fünf bis zehn Senioren - ein Treffpunkt wie für eine Familie.
Pflegeanbieter nehmen sich solche Ratschläge schon zu Herzen. Im westfälischen Attendorn hat die Caritas ihr Senioren-Wohnzentrum wie ein Bauernhaus aufgebaut: Mit kleinen Schlafzimmern und großen Gemeinschaftsdielen. In Köln krempelte die Arbeiterwohlfahrt eines ihrer Heim-Hochhäuser aus den 70er Jahren komplett um: Sterile Flure mit Neonlicht verwandelten sich zu Wohninseln mit bodentiefen Fenstern, warmem Lampenlicht und bequemen Sesseln. Auch hier gibt es nun kleine Wohngruppen statt nur ein Zimmer mit Flur.
Auch andere klassische Heime stellen ihr Programm um. Im Evangelischen Seniorenheim Albestraße in Berlin-Friedenau gibt es heute drei „Lebenswelten“. Senioren, die noch selbstständig und aktiv sind, wohnen in der unteren Etage. Darüber leben Frauen und Männer, die leichte Schwierigkeiten haben, ihren Alltag zu meistern. Für Menschen, die stark pflegebedürftig sind, ist die dritte Lebenswelt auf den beiden oberen Etagen reserviert. Das Konzept stamme aus der Schweiz, berichtet Leiterin Silvia Gehrmann. Das Zusammenleben funktioniere nun deutlich besser. „Die Bewohner haben mehr Verständnis füreinander, niemand wird mehr ausgegrenzt.“
Bei der Vielzahl der Modelle können sich Senioren und ihre Angehörigen in Berlin bei der Suche nach einem passenden Konzept inzwischen kostenlos und unabhängig beraten lassen. In jedem Bezirk gibt es dafür sogenannte Pflegestützpunkte. Das einzige Hindernis kann dann nur noch eine Warteliste sein. Denn moderne und bezahlbare Pflege-Einrichtungen sind begehrt - auch die „Villa Albrecht“.