Tränen und Türknallen: Wenn Kinder nicht verlieren können
Berlin (dpa/tmn) - Das Spiel ist ein Klassiker, aber auch die Szenen, die sich dabei abspielen: Bei einer Runde „Mensch ärgere Dich nicht“ fliegen die Männchen über den Tisch. Manche Kinder vertragen Verlieren nur schlecht.
Was tun, wenn das keine Ausnahme ist?
Gibt es einen oder mehrere schlechte Verlierer in der Familie, kann der Spaß bei Gesellschaftsspielen leiden. Und will ein Kind nicht nur beim Würfeln immer gewinnen, sondern auch in der Schule, beim Sport oder schlicht bei der Frage, wer zuerst ins Bad darf, dann ist das eine Herausforderung für alle Beteiligten.
„Damit ich einen anderen gewinnen lassen kann, brauche ich ein gutes Gefühl von mir selbst: Ich kann manches gut, manches weniger“, sagt die Diplom-Pädagogin Kerstin Bahrfeck-Wichitill von der TU Dortmund.
In der Entwicklung von Kindern gibt es mehrere Phasen, in denen Gewinnen und Verlieren eine besonders große Rolle spielt. „Im Alter von zwei bis drei Jahren entwickeln Kinder ihre Ich-Identität. In dieser Trotzphase üben sie, ihre Bedürfnisse durchsetzen“, sagt Klaus Seifried. Er ist Leiter eines Schulpsychologische Beratungszentrums in Berlin.
In der Pubertät wiederum stellten sich Kinder und Jugendliche selbst infrage. „Da geht es darum, wie stark, schlau, schnell oder schön man selbst ist, ob man die Anerkennung in der Peergroup bekommt.“ Die Frustrationstoleranz sei gering, es falle schwer, mit Niederlagen umzugehen.
Laut dem Erziehungsberater Ulrich Gerth gibt es verschiedene Typen von Verlierern. „Das kennen wir ja auch als Erwachsene, die Spanne reicht vom Lockernehmen bis hin zu starken Gefühlen des Versagens.“ Ob Kinder schlechte Verlierer seien oder nicht, habe oft mit der Haltung der Eltern zu tun und übertrage sich auf das Kind. „Als Erwachsener muss ich beim Spielen Vorbild sein. Ich engagiere mich und will natürlich gewinnen. Aber wenn es nicht klappt, nehme ich es mit Humor und gelassen hin“, sagt der Vorsitzende der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung in Fürth.
Was aber macht einen guten Verlierer überhaupt aus? „Ein guter Verlierer ist jemand, der bis zum Ende spielt und dann dem Sieger gratulieren und sich mit ihm freuen kann“, sagt Sprachtherapeutin Bahrfeck-Wichitill. Wenn ein Kind schreit, tobt, mit Männchen schmeißt, die kleine Schwester haut, weil sie gewinnt, heißt es oft: „Das ist doch nur ein Spiel.“
Für Kinder sei es aber in dem Moment schlimm. „Sie haben beim Spielen oft existenzielle Gefühle. Sie haben Angst davor, Schwäche zu zeigen, ausgelacht zu werden oder einer Situation ausgeliefert zu sein.“ Dann bräuchten die Kinder das Einfühlungsvermögen und den Trost der Eltern, aber auch die klare Ansage: „Du hast ein Recht, wütend und traurig zu sein. Aber du hast nicht das Recht, uns das Spiel kaputt zu machen und uns zu tyrannisieren.“
Verlieren sei eine Frage des Übens, sagt Bahrfeck-Wichitill. Schulpsychologe Seifried ergänzt, dass Eltern lernen müssten, den Frust und das Weinen der Kinder auszuhalten. Nimmt der Kampf um das Verlieren jedoch zu großen Raum ein, dann empfehlen die Experten, sich Rat zu holen. „Es kann zum Beispiel sein, dass ein Kind gar nicht mehr an Wettbewerben oder Fußballspielen teilnehmen will, weil es Angst vor dem Verlieren hat. Das geht zu weit“, erläutert Erziehungsberater Gerth.
Fachleute raten, den Blick der Kinder auch einmal auf Verlierer oder verkorkste Situationen zu richten, in denen jemand schlecht dasteht. Das kann zum Beispiel der umjubelte Fußballprofi sein, der einen Elfmeter verschießt, und im nächsten Spiel trotzdem wieder auf dem Platz steht.