Verborgene Gewalt gegen Frauen ist Massenphänomen

Köln/Frankfurt (dpa) - Demütigung, Vergewaltigung, Schläge: Viele Frauen werden in den eigenen vier Wänden Opfer von Gewalt. Fachleute sprechen von „erschreckenden Zahlen“. Sie sehen dringenden Handlungsbedarf.

Tatort Wohnung: Frauen werden häufig in ihrem eigenen Zuhause Oper von Gewalt. Mitten in Deutschland. „Das eigene Heim ist für viele der gefährlichste Ort“, sagt Birte Rohles von Terre des Femmes zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. „Leider ist die Gewalt gegen Frauen und Kinder noch immer ein Massenphänomen“, betont auch Alice Schwarzer. „Und je schwächer eine Frau ist - also ohne eigenes Geld, ohne soziale Kontakte - umso gefährdeter ist sie“, weiß die Kölner Feministin. Rund 20 000 Frauen und fast genauso viele Kinder suchen jedes Jahr Zuflucht in einem der bundesweit 350 Frauenhäuser, schildert Stefanie Föhring von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF). Alarmierend: „Gewalt an Frauen endet oft tödlich.“

106 Frauen sind im vergangenen Jahr von ihrem Ehemann, Partner oder Ex getötet worden, berichtet das ZIF-Bündnis aus Frauenhäusern, Beratungsstellen und Notrufen aus der Polizeistatistik des Bundeskriminalamtes. „Fast jeden Tag gibt es versuchte oder vollendete Tötungen in Deutschland an Frauen durch die Hand ihres (Ex-)Partners.“ Oft durchlebten Frauen eine jahrelange Gewaltbeziehung, bevor es zu der totalen Eskalation komme.

Rund 40 Prozent aller Frauen sind nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums mindestens einmal im Leben von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen. Und jede vierte Frau erfährt Gewalt durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner. Die Opfer werden psychisch unter Druck gesetzt, überwacht, gedemütigt oder körperlich misshandelt - von der Ohrfeige bis zu roher Gewalt und Vergewaltigung, sagt Rohles von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. „Häusliche Gewalt wird noch immer gerne verschwiegen.“

Die Frauen sind verängstigt und schämen sich, erklärt Rohles. Gerade bei Vergewaltigung. Die Opfer zeigten ihren Peiniger selten an. Das habe auch mit mangelndem Vertrauen in die Justiz zu tun: „Die meisten Verfahren werden eingestellt oder enden mit einem Freispruch. Frauen werden der Falschaussage bezichtigt und haben Angst, doppelt Opfer zu werden“, sagt die Expertin.

Seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe verboten - und das bedeute eine Errungenschaft, betont Schwarzer. „Heute weiß jede Frau, dass das Unrecht ist, dass sie selbst über ihren Körper und ihre Sexualität bestimmen kann. Dieses Wissen fördert Beziehungen auf Augenhöhe.“ Zugleich mahnt sie: „Wir alle können etwas tun, nicht nur der Staat: Nachbarn, Ärzte, Pädagogen müssen die Augen aufhalten - und intervenieren, wenn sie Anzeichen von Gewalt sehen.“

Auch das Gewaltschutzgesetz von 2002 hat Verbesserungen gebracht. Die Polizei ist seither zum Einschreiten verpflichtet - etwa bei Hinweisen von Nachbarn - und kann Anzeige erstatten, falls die Frau sich nicht traut. „Das Gewaltschutzgesetz hat sich ganz eindeutig bewährt und seinen Sinn erfüllt“, sagt Staatsanwältin Dagmar Freudenberg. Trotzdem drängt die Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Juristinnenbundes auf Nachbesserungen: „Viele Familiengerichte versuchen immer noch in einer mündlichen Verhandlung einen Vergleich zu erreichen. Wenn gegen einen solchen Vergleich verstoßen wird, kann der Antragsgegner aber nicht bestraft werden. Das ist ein Mangel, weil der strafrechtliche Schutz verloren geht.“

Freudenberg kritisiert zudem: „Das Gewaltschutzgesetz hat den niedrigsten denkbaren Strafrahmen.“ So werde Gewalt gegen Frauen oft als Bagatell-Kriminalität gesehen. Statt der bisher drohenden Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr sollten bis zu drei Jahre Gefängnis verhängt werden können, fordert die Referentin im Niedersächsischen Justizministerium für Opferschutz. Bei häuslicher Gewalt gebe es ein hohes Dunkelfeld mit starken Schwankungen. Tendenziell verständigten vor allem ältere Frauen und Migrantinnen die Polizei besonders selten.

Terre des Femmes und ZIF verlangen mehr Geld für Beratungsstellen und Frauenhäuser. „Die Häuser sind überfüllt. Es darf nicht sein, dass Frauen weiter abgewiesen werden müssen“, sagt Rohles. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen könne aufrütteln und auf „das große Spektrum der oft verborgenen Gewalt“ hinweisen.