Gerichte erwarten Klagewelle
Bei der Aufteilung des Unterhalts haben jetzt Kinder den Vorrang. Frauen aus erster Ehe befürchten Einbußen.
Düsseldorf. Nach der Änderung des Unterhaltsrechts rollt auf die deutschen Familiengerichte nach Einschätzung von Experten eine Prozesswelle zu. Vor allem für viele geschiedene Frauen können die Neuerungen finanzielle Einschnitte bedeuten. Denn zum einen gibt das neue Recht den Kindern beim Bezug gegenüber den Frauen den Vorrang. Zum anderen gilt die zum Jahresbeginn in Kraft getretene Reform nicht nur für Scheidungen nach dem Jahreswechsel, sondern auch für bereits längst vollzogene.
Nicht genau bestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz machen es schwer, die Auswirkungen für diese "Altfälle" zu bestimmen. Anhand von Fallgruppen können Betroffene sich aber ein erstes Bild davon machen, was sie erwartet. "Fast jeder muss mit Änderungen rechnen", sagt Ingrid Groß, Vorsitzende des Familienrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. "Welche Auswirkungen die Reform im Einzelfall hat, ist schwierig abzuschätzen."
Im Gesetz gebe es zahlreiche Begriffe, die die Gerichte erst auslegen müssen. Verbindliche Vorgaben zur Auslegung des Gesetzes könne abschließend nur der Bundesgerichtshof in Karlsruhe machen. "Und das wird einige Jahre dauern." Geschiedene können sich aber jetzt schon an sogenannten Fallgruppen orientieren.
Damit sind Konstellationen gemeint, in denen der Unterhaltszahler kein ausreichendes Einkommen hat, um an alle Berechtigten Zahlungen zu leisten. Durch die Reform haben die Kinder bei der Aufteilung des Unterhalts den Vorrang erhalten. Für eine Frau, die bisher neben den Kindern Zahlungen erhalten hat, kann das bedeuten, dass sie künftig leer ausgeht. Bei der Aufteilung des vorhandenen Geldes unter den Kindern ist außerdem nicht mehr entscheidend, ob sie aus der ersten oder einer späteren Ehe stammen. Gleichgestellt sind auch Kinder aus einer Beziehung ohne Trauschein.
Vor allem Frauen, die schon länger vom Ex-Mann Unterhaltszahlungen bekommen, müssen sich möglicherweise auf den Wegfall der Unterstützung einstellen, sagt Jutta Wagner, Präsidentin der Deutschen Juristinnenbundes. "Ich erlebe es auch in meiner Praxis, dass Männer, die Unterhalt zahlen, sich fragen, ob sie die Zahlungen auch in Zukunft leisten müssen." Anders als nach altem Recht sei künftig die Befristung der Unterhaltszahlungen an den Ex-Partner die Regel. Das könne auch dann gelten, wenn ältere Kinder erzogen werden.
Vor der Reform galt der Grundsatz, dass nach einer längeren Ehe dem Unterhaltsempfänger durch entsprechend hohe Zahlungen - in der Regel unbefristet - der gleiche Lebensstandard wie in der Ehe garantiert werden sollte. "Das hat sich geändert", sagt Wagner. Geschiedene, die vom alten Grundsatz profitierten, müssten sich auf Einschnitte vorbereiten.
Bisher wurden im Unterhaltsrecht Partner aus der ersten Ehe gegenüber jenen aus späteren Ehen bevorzugt. Diese Privilegierung ist weggefallen, wie Finn Zwißler, Rechtsanwalt für Familienrecht, erläutert. Mit Einbußen müssten daher Ex-Eheleute rechnen, die bisher davon profitierten, dass die Beziehung zum Unterhaltspflichtigen dessen erste Ehe war.
Für frühere Partner, deren Unterhaltsverpflichtungen bereits rechtskräftig in einem Urteil oder Vergleich geregelt sind, muss sich allerdings nicht unbedingt etwas ändern, wie Zwißler betont. Das neue Unterhaltsrecht müsse nach den gesetzlichen Vorgaben "wesentliche Änderungen" bewirken, damit beispielsweise der Unterhalt zahlende Ex-Mann gegenüber seiner geschiedenen Frau eine Kürzung durchsetzen kann. "Wo die Grenze dafür liegt, wird aber erst die Rechtsprechung ergeben." Der Anwalt erwartet aber auch auf eine längere Sicht nicht, dass diese Grenze in bestimmten Euro-Beträgen zu beziffern sein wird.
In der Regel müssen Änderungen mit einer Klage beim Amtsgericht durchgesetzt werden, sagt Zwißler. "Ein solches Verfahren dauert mindestens drei Monate, möglicherweise sogar bis zu einem Jahr." Trotzdem kann sich schnelles Handeln für Unterhaltszahler lohnen, wie Wagner sagt. Für die Änderung alter Unterhaltstitel sei der Einzelfall entscheidend.
Kriterium: Wesentliches Kriterium bei der Ermittlung des Unterhalts ist der sogenannte Rang. Dabei geht es um die Reihenfolge, in der das vorhandene Geld an die verschiedenen Unterhaltsberechtigten verteilt wird.
Oberer Rang: Dieser muss immer erst voll befriedigt werden, bevor jene im nachfolgenden Rang etwas erhalten. Die Reform hat vor allem die Stellung der Kinder verbessert: Unabhängig davon, ob sie der ersten, einer späteren Ehe oder einer Verbindung ohne Trauschein entstammen, nehmen allein sie den ersten Rang ein.
Zweiter Rang: Die Ex-Partner wurden in den zweiten Rang herabgestuft