Kein "Leinenzwang”

Kein Leinenzwang für kleine Kinder. Auf diesen Nenner lässt sich ein Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken bringen, das freilich eine ernste Vorgeschichte hat.

Düsseldorf. Bei einem Unfall waren eine Mutter und ihr zweijähriges Kind schwer verletzt worden. Das Kind war auf die Straße gelaufen, die Mutter ihm hinterher. Beide wurden von einem Auto erfasst und schwer verletzt.
Mitverschulden -­ argumentierte die Versicherung des Autofahrers: die Mutter habe das Kind nicht an der Hand gehalten. Die Richter sahen das anders. Zum einen habe die Mutter das Kind auf der Hausseite des Bürgersteiges gehen lassen. Zum anderen befinde sich ein Kind im Alter von knapp zwei Jahren in einer Entwicklungsphase, in der es darauf angewiesen ist, die eigenen neu gelernten Fähigkeiten fortwährend neu zu trainieren. Daher wäre es für das Kind unzumutbar gewesen, wenn es sich nur an der Hand der Mutter hätte bewegen dürfen. Eine Mutter müsse ihr Kind deshalb nur in besonderen Gefahrensituationen an die Hand nehmen, etwa beim Überqueren einer Straße, an Ausfahrten, bei denen herausfahrende Fahrzeuge den Bürgersteig überqueren, oder wenn sie aufgrund besonderer Umstände damit rechnen muss, dass das Kind auf die Straße rennt, etwa wenn ein Bekannter auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig erscheint. Ergebnis: Weder das Auf-die-Straße-Laufen des Kindes noch das reflexartige Hinterherlaufen der Mutter begründet ein Mitverschulden. Die Versicherung des Autofahrers musste zahlen.

  • Az. 4 U 239/05-132