Alte Menschen müssen in Bewegung bleiben
Die Wittener Professorin Angelika Zegelin wirbt für Mobilität in den Seniorenheimen
Witten. Angelika Zegelin findet gern deutliche Worte: „Ich würde lieber in ein Heim namens ,Sündenpfuhl’ einziehen als in ein Haus ,Abendfrieden’.“ Die Professorin vom Department für Pflegewissenschaft der Uni Witten/Herdecke hat ein Programm entwickelt, um Menschen in Alten- und Pflegeheimen in Bewegung zu halten. „40 bis 50 Prozent der Bewohner können schon ein Jahr nach dem Einzug nicht mehr selbst gehen und stehen“, kritisiert Zegelin. Dabei seien die meisten nur etwas schwach und wackelig, aber keineswegs gelähmt. „Sie werden in den Rollstuhl gesetzt, weil das schneller geht, und dann verlernen sie das Laufen und Stehen.“ Nach zwei Tagen im Rollstuhl sei die Schwächung schon messbar.
Bewegung sei im Altenheim „völlig unterbelichtet“. Das will sie ändern mit ihrem Programm „Mobilitätsförderung in der Altenpflege“. Das Konzept bietet mehr als nur Tanzangebote oder Muskeltraining: „Der gesamte Alltag muss anders gestaltet werden. Es muss mehr Leben in die Bude.“ An fünf Einrichtungen in Bayern und Berlin hat sie das Programm bereits umgesetzt, jetzt sucht sie Pflegeeinrichtungen in NRW.
Das Interesse ist groß: „Ich werde erschlagen von Anfragen, aber das Projekt ist eine Auftragsarbeit, ich analysiere alle Bereiche eines Hauses, den Tagesablauf, die Arbeit des Personals, die Biografien der Bewohner.“ Das kostet pro Einrichtung 30 000 Euro. Von 220 Anfragen sind deshalb nur zehn Einrichtungen übrig geblieben.
„Dabei sind die Erfahrungen sehr positiv“, sagt Zegelin. „Mit dem eigenen Gehen bewahren wir auch die Selbstständigkeit und die Beweglichkeit im Kopf. Die Bewohner können gemäß ihrer Lebensläufe mehr Verantwortung übernehmen.“ Es müsse sich lohnen, sich zu bewegen, ein Altenheim dürfe nicht aussehen wie ein Wartesaal auf den Tod. Aber für mehr Bewegungsförderung gebe es in den meisten Stationen viel zu wenig Personal.