Arztfehler: Wenn der Herzinfarkt unerkannt bleibt

Berlin (dpa) - Kranke richten oft alle Hoffnung auf ihre Ärzte - doch manchmal ist sie trügerisch. Wenn die Mediziner versagen, ist es für Opfer nicht leicht, zu ihrem Recht zu kommen.

Ärztefehler können jeden treffen - jedes Jahr beschweren sich deshalb rund 40 000 Patienten. Allein bei den Gutachterstellen und Schlichtungskommissionen der Ärzteschaft gingen vergangenes Jahr 11 016 Beschwerden ein. Die Zahl der offiziell festgestellten Fehler stieg auf 2199. Die Schlichtungsstellen müssen oft erschreckende Fälle bewerten. Experten fordern strengere Regeln.

So ging ein 45-jähriger Patient zu einem Allgemeinmediziner, der an diesem Tag als Notarzt arbeitete. Er hatte Schmerzen im Bauch, die auf Oberkörper, Arme und Kopf ausstrahlten. Der Arzt veranlasste ein EKG. Zwei Tage später suchte der Mann den Arzt nochmals auf - erneut machte dieser ein EKG und schickte den Mann mit dessen Privatauto ins Krankenhaus. Hinterher gaben Gutachter dem Patienten Recht: Schon das erste EKG gab Hinweise auf einen Herzinfarkt - der Mann hätte sofort per Krankenwagen in die Klinik gebracht werden müssen. Glücklicherweise blieben in diesem Fall keine Schäden zurück.

Ein 50-Jähriger wurde mit Verdacht auf Blinddarmentzündung operiert. Dabei entdeckten die Ärzte einen Tumor am Dickdarm - und schnitten ihn heraus. Allerdings entzündete sich der Bauchraum nach der Operation erneut. Der Mann kam wieder unters Messer - die Ärzte bargen ein Tuch, dass sie beim ersten Eingriff im Bauch vergessen hatten.

Auch einer 58-jährigen Patientin mit Krebs in der Bauchgegend wurde die Nachlässigkeit ihres Arztes zum Verhängnis. Ein Jahr nach der letzten von zwei Krebsbehandlungen ging die Frau zu ihm und klagte über Bauchschmerzen, Blähungen und Erbrechen. Mehrfache Sprechstunden- und Hausbesuche später suchte die Frau auf eigene Faust einen Frauenarzt auf - der schickte sie sofort in die Klinik, wo ein kompletter Darmverschluss durch ein Dünndarmkarzinom festgestellt und entfernt wurde. Der Arzt verteidigte sich, die Patientin habe ein Mistel-Präparat statt weiterer Chemotherapien gewünscht - in seiner Kartei stand davon nichts.

Und eine 37 Jahre alte Frau meldete sich am zweiten Tag eines Kuraufenthalts wegen Erschöpfung beim zuständigen Arzt. Sie hatte starke Kopf- und Gliederschmerzen. In den Unterlagen fand sich der Hinweis einer Schwester auf einen Insektenstich. Nach drei Tagen kommen Übelkeit und weitere Symptome hinzu - während der Kur ging es der Frau immer schlechter. Doch erst der Hausarzt stellte danach eine Borreliose nach einem Zeckenbiss fest. Der Frau hätten ein sechs Wochen währendes Leiden und möglicherweise auch verbliebene Beschwerden erspart werden können.

Vor Gericht müssen Patienten in solchen und anderen Fällen oft Jahre warten, bis sie vielleicht zu ihrem Recht kommen. Bei den ärztlichen Gutachterkommissionen dauert es im Schnitt 14,5 Monate, bis eine Bewertung vorliegt. Der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske vermutet allerdings, dass die hier entscheidenden Ärzte trotz ihrer Unabhängigkeit oft eher zugunsten ihrer Berufskollegen entscheiden - zumindest in den vielen Zweifelsfällen, die es neben den drastischen Fehlern auch gibt.

Viele Krankenhäuser hätten ihre Abläufe verbessert und Fehlermeldesysteme installiert, lobt Glaeske. Doch in Praxen seien unangemeldete Kontrollen nötig. Denn: „Im ambulanten Bereich haben wir keine funktionierende Fehlermeldekultur.“