Gewitter im Gehirn - Leben mit Epilepsie

Köln (dpa/tmn) - Epilepsie ist so häufig wie Gelenkrheuma, doch nur wenige reden darüber. Denn die plötzlichen, teils bizarren Krampfanfälle machen Außenstehenden oft Angst.

Plötzlich ist da wieder dieses seltsame Kribbeln, das vom Magen bis zur linken Wange aufsteigt. „Und dann setzt sich eine Angstspirale in Gang, denn man weiß genau: der nächste Anfall steht kurz bevor“, erinnert sich Thomas Porschen, Vorsitzender des Landesverbands für Epilepsie-Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen. 15 Jahre lang hatte er immer wieder epileptische Anfälle. Er sackte zusammen, wurde bewusstlos. Als er aufwachte, standen Fremde hilflos um ihn herum. „Die wussten einfach nicht, was sie tun sollten.“

Dabei ist Epilepsie mit einer Erkrankungswahrscheinlichkeit von rund einem Prozent in der Bevölkerung etwa so häufig wie Gelenkrheuma. Epilepsie beruht auf einer Funktionsstörung des Gehirns. „Das kann etwa eine genetische Störung, ein Tumor, eine Schädelhirnverletzung durch einen Unfall oder ein Schlaganfall sein, und im Rahmen dessen kann es zu Anfällen kommen“, sagt Thomas Mayer, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie.

Entgegen der Vorurteile ist Epilepsie keine geistige Behinderung. „Viele Patienten sind in leistungsreichen Positionen tätig“, fügt Prof. Christian Elger von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Berlin hinzu. „Wenn die Ursache der epileptischen Anfälle aber die Gesamtleistungsfähigkeit des Gehirns einschränkt, kann es neben den Anfällen auch zu einer intellektuellen Beeinträchtigung kommen.“

Um von Epilepsie zu sprechen, müssen sich mehrere Anfälle über einen gewissen Zeitraum von selbst wiederholen. Epileptische Anfälle sind wie elektrische Gewitter im Gehirn. Nervenzellen entladen sich unbewusst und ungezielt. Die Anfallsformen reichen von sekundenlangen Abwesenheiten, in denen Betroffene wie abgeschaltet wirken, über Wahrnehmungsstörungen und merkwürdig erscheinende Verhaltensweisen wie plötzliches Brummen bis hin zu großen Krampfanfällen. „Da werden die Patienten ganz steif und entwickeln enorme Kräfte, sie zucken rhythmisch, werden bewusstlos und stürzen zu Boden, wobei sie sich teilweise Knochenbrüche zuziehen können“, sagt Elger.

Vielen Menschen macht diese Erscheinung Angst. „Das dauert aber maximal nur eineinhalb Minuten. Bis sich die Betroffenen reorganisiert haben, vergeht manchmal eine halbe Stunde oder mehr.“ Dauern die Krämpfe jedoch fünf Minuten oder länger an, müsse man davon ausgehen, dass sich eine Anfallsserie ereignet. Da das lebensgefährlich ist, müsse der Notarzt gerufen werden, sagt Mayer.

Zur langfristigen Behandlung werden vorrangig Medikamente eingesetzt. „Bei etwa zwei Drittel aller Patienten führen sie erwiesenermaßen zur Anfallsfreiheit“, sagt Elger. An den Ursachen ändern sie aber nichts. „Deshalb kommt es nach einer möglichen Absetzung der Medikamente mit hoher Wahrscheinlichkeit zu neuen Anfällen, oftmals mit Verzögerungen von bis zu einem Jahr und mehr.“

Auch wenn Epilepsie gut behandelbar ist, lassen sich die Anfälle nicht vorhersagen. Ein Epilepsie-Notfallausweis kann Ängste etwas lindern. „Wenn ihn Menschen mit schwerer Epilepsie bei sich tragen, fühlen sie sich sicherer und trauen sich wieder auf die Straße“, sagt Porschen.

Neben den Anfällen werden Menschen mit Epilepsie oft auch von den Sorgen und Ratschlägen ihrer Angehörigen und Freunde eingeengt. In der Regel wollen sie aber genauso behandelt werden wie alle anderen auch. „Dafür müssen sie ihrem Umfeld deutlich machen: Schränkt mich bitte nicht ein, ich weiß ganz genau selbst, wo meine Grenzen liegen“, sagt Porschen. Ein gemeinsamer Besuch beim behandelnden Arzt könne Epilepsiepatienten dabei unterstützen.

Service:

Ein Epilepsie-Notfallausweis ist in Epilepsiezentren, bei Fachärzten für Neurologie oder im Internet unter „epilepsie-online.de“ erhältlich.