Interview: Gesund durch Bewegung
Viele Menschen unterschätzen die Gefahr, die mangelnde Aktivität und schlechte Ernährung für unseren Körper bedeuten. Wir sprachen darüber mit dem Wuppertaler Mediziner Georg Fudickar.
Herr Dr. Fudickar, Gesundheitsvorsorge wird oft gefordert, aber selten gelebt. Vielen Menschen scheint Prävention lästig zu sein. Warum ist das gefährlich?
Fudickar: Die gesetzlichen Kassen geben 300 Millionen Euro für Prävention aus, ein Anstieg in den letzten Jahren um fast das Fünffache. Aber bei den Patienten herrscht überwiegend eine „Reparaturmentalität“ vor, die die Sünden des Lebensstils nicht beseitigt. Die meisten Patienten erhalten nach einem Herzinfarkt eine Kombination aus modernsten und effektivsten Medikamenten, die zur Normalisierung vieler Parameter führt. Aber die Risikofaktoren bleiben weiter bestehen: Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht bzw. Diabetes. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Infarktes. Mediziner sprechen von einem tödlichen Quartett.
Was ist damit gemeint?
Erstens der Mangel an ausreichender körperlicher Bewegung. Dann der Mangel an sekundären Pflanzenstoffen und Mikronährstoffen aus Gemüse, Obst und Samenkörnern. Drittens der Mangel an Omega-3-Fettsäuren (findet sich zum Beispiel in Hering, Thunfisch, Lachs). Und viertens: zu wenig Vitamin D. Auch dieses findet sich unter anderem in den genannten Fischen und wird auch vom Körper selbst bei Sonnenlicht gebildet.
Warum Vitamin D?
Fudickar: Ein gut eingestellter Vitamin-D-Spiegel hat positive Wirkungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, senkt den Blutdruck, verbessert Herz- und Skelett-Muskulatur, verringert das Risiko für Diabetes und Arteriosklerose. Vitamin D besitzt eine ausgeprägte Schutzfunktion für die Nervenzellen des Gehirns mit positivem Einfluss auf Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz und Depression. Auch das Immunsystem wird gestärkt, Autoimmunerkrankungen wie Colitis ulcerosa (Darmerkrankung) und Morbus Crohn werden reduziert, ebenso Brust-, Dickdarm- oder Prostatakrebs. Weil sich immer weniger Menschen ausreichend im Freien aufhalten, geht man davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung zu wenig Vitamin D bilden.
Welche wissenschaftlichen Fakten sprechen für mehr Prävention?
Fudickar: Nach einer repräsentativen Untersuchung ließen sich 90 Prozent aller Diabetes-Fälle und 80 Prozent der Herzinfarkte durch präventive Maßnahmen vermeiden. Bei 90 Prozent der Todesfälle liegt ursächlich eine chronische Erkrankung vor, die überwiegend durch unseren Lebensstil verursacht wird und somit vermeidbar wäre, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose, Diabetes oder Erkrankungen der Atemwege, teilweise auch Krebs oder Demenz und Depressionen.
Wie wichtig ist Bewegung?
Fudickar: Sehr wichtig. Der Zusammenhang zwischen Bewegung und Gesundheit wird immer noch von vielen unterschätzt. Die regelmäßige Inanspruchnahme der Muskulatur führt nicht nur zu erheblichen positiven Effekten im Herz-Kreislauf-System, im Immunsystem oder bei Diabetes, sondern auch zur Ausschüttung von entzündungshemmenden Zytokinen. Eine schlechte Fitness wiegt als Risikofaktor so schwer wie das Rauchen. Selbst Übergewicht wiegt im Vergleich zu schlechter Fitness weniger. Also besser ein fetter Fitter als ein schlanker Schlaffi. Unsere Vorfahren sind täglich 20 km gelaufen, um etwas zu essen zu finden. Dagegen bewegen wir uns im Durchschnitt nur noch 600 bis 800 Meter pro Tag.
Sind Fitness und Ernährung auch ein Rettungsanker für unser Gesundheitssystem?
Fudickar: Auf jeden Fall. Allein Rückenschmerzen verursachten 2006 Kosten von mehr als 8,3 Milliarden Euro. Das überfordert bald die Finanzierung der kurativen Versorgung. Gesundheitsförderung und Prävention müssen neu entdeckt werden. Nur durch Vorbeugung und nicht durch Behandlung bereits eingetretener Erkrankungen oder Beschwerden lassen sich Kosten einsparen.