Kampf gegen Krankheiten, die kaum jemand kennt

Berlin (dpa) - Menschen mit Seltenen Erkrankungen haben oft lange Leidenswege hinter sich, bis sie endlich wissen, was ihnen fehlt. Auf das Problem aufmerksam machen will der Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar.

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„Als Kind galt ich als verwöhnt und nörgelig am Tisch“, erinnert sich Jana Seifried. Denn instinktiv aß sie immer schon vor allem Dinge, die leicht rutschten. Mit Anfang 30 stellten sich dann massive Schmerzen ein - und Jana Seifried bekam irgendwann nur noch Pudding, Eis oder Sahne hinunter. Schließlich wog sie bei einer Körpergröße von 1,67 Meter 138 Kilogramm. Doch als sie vor 15 Jahren wegen der unerträglichen Schmerzen beim Essen in einer Klinik vorsprach, wies man sie mit „unklarer Genese“ wochenlang in die Psychosomatik ein. Erst sieben Jahre und eine Krankenhaus-Odyssee später hatte Jana Seifried schließlich ihre Diagnose: Achalasie, eine unheilbare motorische Störung der Speiseröhre - und eine der 6000 Seltenen Erkrankungen, die bislang einen Namen haben.

Auf die Anliegen und Probleme solcher Patienten will auch der Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar aufmerksam machen.

Heute wiegt die Berlinerin Seifried kaum 48 Kilogramm und wird über eine Sonde und einen Port ernährt. Ihre Speiseröhre, die durch einen Gendefekt nicht richtig arbeitete und immer schmerzhafter verkrampfte, hat sie längst nicht mehr. Weil nach weiteren Komplikationen auch Magen und Dünndarm entfernt werden mussten, ist es jetzt ein Stück ihres Dickdarms, der am Zungengrund angenäht wurde und als Speiseröhre fungiert. „Kleine Mengen püriertes Babyobst kann ich zu mir nehmen“, sagt die Mittvierzigerin. „Doch das Dickdarmstück ist praktisch ein totes Abflussrohr.“

Gegen die starken Schmerzen bekommt sie mittlerweile Morphium. „Meine Hoffnung ist eine Dünndarmtransplantation“, erzählt sie. Doch sie weiß, dass die Chancen hierfür schlecht stehen - zu selten werden Dünndarme verpflanzt und zu schlecht ist schon ihr eigener Gesundheitszustand. „Zum Glück bin ich glücklich verheiratet und meine Familie ist an meiner Seite.“

Annette Grüters-Kieslich kennt als Beiratsmitglied der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e.V.), eines bundesweiten Netzwerks für Betroffene und ihre Familien, solche Fälle zu genüge. An der Charité leitet die Professorin die Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie. Auch in dieser Funktion behandelt sie Kinder mit Seltenen Erkrankungen - diese kleinen Patienten gelangen meist über ein spezielles Charité-Centrum (BCSE) an die einzelnen Fachkliniken. „Bei seltenen Erkrankungen spielt die Koordination eine wesentliche Rolle. Wir haben Anfragen von außen und von innen, von Ärzten und Patienten. Und wenn die Symptome unklar sind, halten wir eine Fallkonferenz mit Vertretern verschiedener Disziplinen ab.“

Auch bundesweit sind die 21 Fachzentren mit Schwerpunkten auf verschiedenen Seltenen Erkrankungen (SE) vernetzt. „Vieles ist im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes aber noch im Aufbau“, sagt Grüters-Kieslich. So entsteht derzeit ein umfangreicher SE-Atlas - eine Art interaktive Landkarte von Versorgungseinrichtungen für Betroffene, Angehörige, aber auch Ärzte und nicht-medizinisches Personal.

Die Medizinerin Christine Mundlos arbeitet an der Charité für ACHSE. Sie ist als Lotsin Ansprechpartnerin für Ärzte, die Rat suchen: Während am Betroffenen-Telefon der ACHSE 800 bis 1000 Anfragen pro Jahr auflaufen, melden sich bei der Lotsin etwa 90. „Was uns beunruhigt ist, dass der Anteil der unklaren Diagnosen zunimmt“ - seit 2006 von 15 Prozent auf mittlerweile 25 Prozent.

Auch die Familie von Gian-Luca geht in Berlin den Weg mit einer Seltenen Erkrankung: Der 13-Jährige hat einen unheilbaren Stoffwechseldefekt, Mukopolysaccharidose (MPS) vom Typ II. Nicht abbaubare Aminozuckerketten lagern sich dabei in verschiedensten Zellen ab und lassen sie absterben - körperlicher und geistiger Abbau ist die Folge. Betroffene Kinder verlieren dadurch nach und nach ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten.

„Das ist nicht einfach mitanzuschauen“, sagt die Mutter Bea Heldner. Sie arbeitet im Schichtdienst, während ihr Mann die Betreuung des Sohnes und der zwölfjährigen - gesunden - Tochter übernommen hat. „Trotzdem funktionieren wir eigentlich nur noch. Es ist etwas besser, seitdem wir vor einem Jahr einen Pflegedienst für die Nacht bekommen haben. Jetzt können mein Mann und ich zumindest ab und zu auch mal wieder ins Kino gehen“, sagt Bea Heldner.

Viermal im Jahr nimmt sich die Familie eine Art Auszeit - und geht mit Gian-Luca für eine Woche ins Kinderhospiz. „Hier kümmert man sich toll um uns“, sagt Bea Heldner. Und woraus schöpft sie sonst ihre Kraft? Ebenso wie bei den Seifrieds ist es bei den Heldners auch der Austausch mit anderen Betroffenen. Bea Heldner und ihr Mann unterstützen als Regionalbeauftragte im MPS-Verein andere Familien.

Jana Seifried leitet - obwohl selbst längst berufsunfähig - nach wie vor eine Regionalgruppe der Achalasie-Erkrankten. „Ich möchte erreichen, dass auch an die Folgen der Erkrankung und die finanziellen Belastungen dadurch stärker gedacht wird. Vielleicht nicht mehr für mich, aber für die anderen.“