Medikamentensucht erkennen und behandeln
Berlin (dpa/tmn) - Das Suchtpotenzial von Medikamenten wird oft unterschätzt. Besonders gefährlich sind Schlaf- und Beruhigungsmittel. Die Folgen einer Medikamentensucht können gravierend und der Entzug hart sein.
„Etwa vier bis fünf Prozent aller verschreibungspflichtigen Medikamente können bei längerfristiger Einnahme abhängig machen. Das betrifft vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel“, sagt Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer in Berlin. Eine Abhängigkeit entsteht in der Regel erst nach mehrwöchiger Einnahme.
Wer von Beruhigungsmitteln abhängig ist, fällt nicht auf - zumindest zu Beginn seiner Abhängigkeit. Oft werden die Medikamente über Jahre hinweg in unverändert kleinen Dosierungen eingenommen. Mögliche Nebenwirkungen der Langzeiteinnahme sind Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen. Die Patienten stumpfen emotional ab, werden vergesslich und sind weniger leistungsfähig. Bei älteren Menschen steigert die Langzeiteinnahme von Beruhigungsmitteln das Sturzrisiko.
Der Ausstieg aus der Medikamentensucht ist langwierig: Werden die Beruhigungsmittel abrupt abgesetzt, leiden die Patienten unter Unruhe, Schlafstörungen oder Angstzuständen - also an den Beschwerden, deretwegen mit der Einnahme begonnen wurde. Viele Patienten erkennen dies nicht als Entzugserscheinungen, sondern glauben, die ursprünglichen Beschwerden bestünden weiterhin. „Das ist ein Teufelskreis“, warnt Fink. „Wer von Arzneimitteln abhängig ist, schafft den Entzug meist nicht allein.“ Arzt und Apotheker können Patienten beim Entzug unterstützen, zum Beispiel durch langsame, schrittweise Verringerung der Dosis und Beratungsangebote.
Kriterien für eine Sucht sind unter anderem, dass ein Medikament trotz schädlicher Folgen zwanghaft eingenommen wird oder dass beim Absetzen Entzugssymptome auftreten. Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von rezeptpflichtigen Medikamenten. Die Dunkelziffer ist hoch. Frauen und ältere Menschen haben ein erhöhtes Risiko, abhängig zu werden. Viele Betroffene erkennen das Problem nicht, da die Medikamente ärztlich verordnet wurden. Andere Patienten lassen sich Schlaf- und Beruhigungsmittel von verschiedenen Ärzten verordnen, um ihre Sucht zu tarnen.