Schlachtwarm verarbeitetes Fleisch braucht weniger Zusätze

Kassel (dpa/tmn) - Den Unterschied merkt man erst beim Reinbeißen: Wenn das Fleisch schlachtwarm verarbeitet wird, müssen weniger Zusatzstoffe in die Wurst. Dabei muss sich der Fleischer aber beeilen.

Die Scheibe sieht fast aus wie konventionelle Jagdwurst. Auch der Fleischkäse unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von handelsüblicher Ware. Doch spätestens beim Reinbeißen merken Verbraucher, dass die Fleisch- und Wurstwaren von Dieter Rohde aus Kassel weicher und zarter sind als andere. Das liegt an der Herstellungsweise: Rohde ist Mitglied der Genießervereinigung Slow Food und verarbeitet wie nur wenige andere Produzenten in Deutschland das Fleisch noch schlachtwarm. Dadurch kann er auf bestimmte Zusatzstoffe verzichten, die sonst nötig sind, damit die fertige Wurst fest wird.

Schon während der Schlachtung und amtstierärztlichen Fleischbeschau verlädt er die Ware und bringt sie vom Schlachthof in seinen zehn Minuten Fahrt entfernten Betrieb. Dort muss schnell gearbeitet werden. Denn nur kurz sei im Fleisch noch Adenosin-Tri-Phosphat (ATP) vorhanden, erklärt er. „Im lebenden Organismus ist es an jeder Muskelbewegung beteiligt. Beim zusammengezogenen Muskel sorgt das ATP dafür, dass er wieder erschlafft.“ Es trenne die Eiweiße wieder voneinander, die den Muskel zusammenziehen.

Diesen Effekt machen sich Metzger zunutze, die Fleisch warm verarbeiten: Solange im toten Muskelgewebe noch ATP vorhanden ist, bleiben Rohde zufolge die Eiweiße unverbunden, und dazwischen kann sich viel körpereigenes Wasser im zerkleinerten Fleisch anlagern. „Es entsteht eine gelartige Masse, in die sich wiederum Fett sehr gut und gleichmäßig einlagern kann. Und dieses Fett bindet die fleischeigenen Aromastoffe“, erklärt der Fleischer. „Die Wurstmasse wird auf natürliche Weise aromatisch.“ Nur natürliche Gewürze und Pökelsalz kämen dann noch hinzu.

Um das ATP zu nutzen, bleiben bei einem Schwein zwei bis drei, bei einem Rind vier bis sechs Stunden, bei Geflügel nur 30 Minuten Zeit. Danach sind die Stoffwechselprozesse abgeschlossen, das Fleisch wird kalt und starr. Die Eiweiße sind längst verbunden und halten nur wenig Wasser, Fett und Aromen. Daher setzt die Industrie der Wurstmasse künstliche Bindemittel wie Phosphate oder Citrate zu. Aromen und Geschmacksverstärker sind ebenfalls gängige Zusätze. Die Konsistenz solcher Wurst ist in der Regel fester.

Der Aufwand, den Warmfleisch verarbeitende Betriebe betreiben, macht sich aber nicht nur an Konsistenz und Aroma bemerkbar. Auch der Preis ist höher: Er liegt Rohde zufolge um 18 bis 20 Prozent über dem Normalpreis. Das hängt darüber hinaus damit zusammen, dass er ausschließlich Biofleisch verwendet. „Sie sprechen damit nicht die Masse an“, sagt er.