Schlaganfall: Golf als Therapie

St. Peter-Ording (dpa) - Nach einem Schlaganfall ist Sport für viele Patienten kein Thema mehr. Sie können froh sein, wenn sie einen Teil ihrer früheren Beweglichkeit zurückbekommen. Dabei könnte eine Sportart wie Golf helfen.

Horst Drews kurvt mit einem Golfkart über die Dünen am Ortsrand von St. Peter-Ording. Es wirkt fast lässig, wie er das kleine Elektrogefährt mit einer Hand um einen Sandbunker herum zum Abschlagplatz lenkt. Neben ihm sitzt Ehefrau Maike. „Die hab ich vor 40 Jahren in weiser Voraussicht geheiratet“, sagt er. „Stimmt, damit ich jetzt dein Caddy sein kann“, antwortet sie mit leisem Lachen, schnappt sich seine Schläger und hüpft aus dem Gefährt. Bei Ehemann Horst geht's nicht so fix. „Verdammich, ich komm' hier nicht raus aus dem Wagen“, schimpft der 62-Jährige. Er hatte vor acht Jahren einen Schlaganfall.

Doch ein anderer Golfer irgendwo hinter ihm frozzelt: „Das ist der Winterspeck.“ Heiteres Gelächter schallt von allen Seiten. Man ist unter sich, und der Umgang miteinander ist ungezwungen. Auch Horst Drews stimmt in das fröhliche Lachen ein. „Das sind alles Freunde“, erklärt er. Menschen, die wie er nach einem Schlaganfall aus ihrem „alten“ Leben herausgerissen wurden und sich neu orientieren mussten.

Rund 250 000 Menschen erleiden bundesweit pro Jahr einen Schlaganfall: Für zwei von drei Schlaganfall-Patienten gibt es nach Angaben der „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“ kein Zurück in die frühere Normalität: Sie behalten Folgeschäden, vor allem Lähmungen und Sprachstörungen.

Um sich das Leben zurückzuerobern, müssen Schlaganfall-Patienten wieder ein Gefühl für ihre Körpermitte entwickeln und verloren gegangene Bewegungsabläufe neu lernen. Seit 2006 gibt es das Projekt „Golf für Schlaganfall-Betroffene und Partner“. Als die Physiotherapeutin und Hobby-Golferin Astrid Kalla davon erfuhr, war sie sofort begeistert. Kalla ist Bobat-Expertin. Bei diesem Therapie-Konzept geht es unter anderem darum, dass die gesunden Hirnregionen der Schlaganfall-Patienten die Aufgaben der zerstörten Teile übernehmen sollen, um die von der Lähmung betroffenen Gliedmaßnahmen zu reaktivieren neu einsetzen zu können.

„Der komplexe Bewegungsablauf beim Golfen bezieht den ganzen Körper ein und gibt besonders Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, die eigene Leistungsfähigkeit kennenzulernen, Leistungsgrenzen auszudehnen, sowie das Selbstwert- und Lebensgefühl zu steigern“, erklärt Kalla. Gemeinsam mit Golftrainer Thorsten Schulz gründete sie die „Schlaganfallgolfgruppe St. Peter-Ording“ (Kreis Nordfriesland): „Wenn man auf der Spielbahn steht, vergisst man alles andere. Dann gibt es nur noch den Ball“, sagt sie. Letztendlich werde durch die Konzentration auf dem Golfplatz auch die Hirnleistung gesteigert.

Es ist jedoch ein langer Weg für einen Schlaganfall-Patienten, bis er den ersten Ball alleine schlagen kann: „Solange er nicht stehen kann, üben wir im Rollstuhl“, erzählt Kalla. Weiter geht es mit „Stehhilfen“ - das sind erhöhte Sitze. Und wenn endlich der erste Ball im Stehen geschlagen wird, ist der Patient immer noch auf Hilfe angewiesen. „Anfangs ist der Gleichgewichtssinn noch labil“, sagt Kalla. Damit der Golfer nicht umfällt, muss Schulz ihm in dieser Zeit im wahrsten Sinne eine Stütze sein.

Einer der ersten Spieler in der „Schlaganfallgolfgruppe St. Peter-Ording“ war Gerald Stecher. Der 66-Jährige hatte vor zwölf Jahren einen Schlaganfall. Seit vier Jahren spielt er in St. Peter-Ording Golf. Und hat damit in seinem Leben auch wieder ein ehrgeiziges Ziel: „Ich will 103 Jahre alt werden“, sagt er. So weit ist Rolf Kröger noch nicht. Der 56-Jährige ist seit einem Jahr dabei. Er hatte nach seinem Schlaganfall zu Hause wie in Trance gelebt und kaum ein Wort gesprochen: „Worüber hätte er auch reden sollen? Es gab keine Themen mehr in seinem Leben“, sagt Kalla. Vor einem Jahr überredete sie ihn, beim Golfen mitzumachen. „Plötzlich hatte er zu Hause wieder etwas zu erzählen.“

Dabei geht es in der Schlaganfallgolfgruppe nicht darum, Behinderte zu perfekten Golfern auszubilden: Das Zusammensein mit Schicksalsgenossen, aber auch der gemeinsame Sport mit Ehepartnern und Freunden - für die Schlaganfall-Patienten ist beim Golfen letztendlich alles Therapie: „Das Kart in die Nähe des Balls zu lenken, dann aus- und wieder einzusteigen - das sind alles Probleme, die geübt werden müssen“, erklärt Kalla.

Davon kann Hans-Jürgen Wiebner ein Lied singen. Er war bis März 2009 rund um die Uhr aktiv: Seine Firma und seine zahlreichen Ehrenämtern summierten sich damals zu einem 24-Stunden-Job, erinnert sich Ehefrau Gisela. Trotzdem hatte er noch Zeit gefunden zu langen gemeinsamen Spaziergängen mit ihr. „Das Aus kam plötzlich und unerwartet“, sagt sie. Seit seinem Schlaganfall kann der heute 68-Jährige nur mit Mühe das Gleichgewicht halten. Ein weiteres Handicap ist sein „Tunnelblick“. Das sei wie der Blick durch ein Ofenrohr: „Ich sehe nichts an den Seiten“, erklärt er. Daher werde das Erkennen der Flagge, die das „Loch“ kennzeichnet, ebenso wie das zielgenaue Treffen des Balls für ihn zu einer großen Herausforderung.

Zurzeit trainieren in der „Schlaganfallgolfgruppe St. Peter-Ording“ ein Dutzend Golfer. „Viele kommen von weit her, weil sie in ihrem Heimatclub nach ihrem Schlaganfall nicht mehr akzeptiert werden“, sagt Kalla. Und fügt mit einem leichten Kopfschütteln hinzu: „Soweit uns bekannt ist, gibt es in Deutschland neben St. Peter-Ording nur drei weitere Plätze mit eigener Schlaganfallgolfgruppe.“

Damit das Golfen für die Schlaganfall-Patienten in St. Peter-Ording noch besser wird, bekommen sie jetzt einen dreirädrigen Spezialrollstuhl mit Breitreifen, der für „unwegsames“ Gelände entwickelt wurde. In diesem „ParaGolfer“ sitzt man festgeschnallt und lenkt ihn mit einem Joystick über den Golf-Parcours, um sich zum Ball-Schlagen samt Sitz aufrichten zu lassen. „Das funktioniert auch auf schrägen Flächen“, weiß Kalla.

Zur Übergabe des knapp 18 000 Euro teuren „ParaGolfers“ am 9. Juli hat auch der weltbeste Behinderten-Golfer Anthony Netto sein Kommen zugesagt: Der Golf-Profi mit dem „Handycap Null“ wurde Silvester 1994 von einem betrunkenen Autofahrer angefahren und ist seitdem querschnittsgelähmt. Trotzdem schlägt der Südafrikaner vom „ParaGolfer“ aus auch heute noch den Ball über 200 Meter weit.