Schmerzwahrnehmung: Warum es manchen mehr wehtut

Hamburg (dpa) - Menschen empfinden Schmerzen auf unterschiedliche Art und Weise, und Schmerzmittel wirken mit unterschiedlichem Erfolg darauf. Wissenschaftler suchen im Erbgut bei Menschen und Tieren nach Erklärungen dafür.

Der klinische Pharmakologe Prof. Jörn Lötsch befasst sich an der Universität Frankfurt (Main) mit diesen Fragen, die auch auf dem Europäischen Schmerz-Kongress in Hamburg (21. bis 24. September 2011) diskutiert werden. 300 bis 500 Gene seien bekannt, die mit der Schmerzwahrnehmung zusammen hängen.

Was wissen wir über den Einfluss von erblichen Anlagen auf die Wahrnehmung von Schmerzen?

Lötsch: „Es gibt in der Durchschnittsbevölkerung nicht das eine Gen, das Schmerzen kontrolliert. Derzeit kennen wir ungefähr 300 bis 500 Gene, die mit der Schmerzwahrnehmung zusammenhängen. Die individuelle Schmerzempfindung resultiert aus einem komplexen Zusammenspiel der Genprodukte. Dazu kommen aber auch Umwelteinflüsse, die die Ablesbarkeit dieser Gene beeinflussen, ohne die Reihenfolge des genetischen Alphabets zu ändern.“

Könnten Sie konkrete Beispiele nennen für bereits gefundene Gene und ihre Auswirkungen?

Lötsch: „Extrem selten gibt es Familien, deren Mitglieder gar keine Schmerzen oder anfallsartig starke Schmerzen empfinden, wofür wenige einzelne Gene verantwortlich gemacht werden. Dies gibt uns wichtige Hinweise für mögliche neue Ansatzpunkte für Schmerzmittel. Außer diesen seltenen Fällen ist zum Beispiel bekannt, dass die genetische Variante, die für rotes Haar verantwortlich ist, bei Frauen mit einer stärkeren Wirkung bestimmter Opioid-Schmerzmittel einher geht. Weiteres Beispiel ist ein Gen, das die Wirkung des Schmerzmittels Kodein beeinflusst. Wird aufgrund einer genetischen Variante ein bestimmtes Enzym nicht gebildet, kann Kodein nicht wirken. Wird andererseits zu viel Enzym gebildet, kann es zu verstärkten Nebenwirkungen kommen. Es gibt auch Erkenntnisse über genetisch veränderte Opioidrezeptoren, die bei manchen Patienten zu einem höheren Bedarf an Opioiden führen. Das sind nur einige Beispiele, das Wissen über funktionelle Gene vergrößert sich ständig.“

Was könnten diese Ergebnisse für Patienten bedeuten?

Lötsch: „Wir wollen versuchen, für Schmerzpatienten mit bestimmten genetischen Varianten das jeweils geeignete Schmerzmittel in der richtigen Dosierung parat zu haben. Aus Tierexperimenten weiß man außerdem, dass es möglich ist, Medikamente zu entwickeln, die die Ablesbarkeit von Genen verändern. So könnten gegebenenfalls schmerzhemmende körpereigene Stoffe vermehrt gebildet werden, oder schmerzsteigernde ausgeschaltet werden. Die Erkenntnisse über Genetik und Epigenetik vermehren sich zwar rasant und ebnen den Weg zur individualisierten Medizin. Man darf sich aber nicht erhoffen, dass die Anwendung in der Klinik über wenige Einzelfälle hinaus unmittelbar bevorstünde. Aber wir arbeiten daran.“