Schnecken und Linsen: Spezialitäten der Schwäbischen Alb
Hayingen (dpa/tmn) - Einige traditionelle Spezialitäten der Schwäbischen Alb drohen in Vergessenheit zu geraten. Doch seit Albschnecke und Alblinse Passagiere auf der „Arche des Geschmacks“ von Slow Food sind, ist die Gefahr nicht mehr so groß.
Simon Tress empfängt seine Gäste im Kräutergarten. Der liegt neben dem traditionellen Gasthaus seiner Familie in Hayingen-Ehestetten auf der Hochebene der Schwäbischen Alb. In seiner hellgrauen Kochjacke erklärt der 28-jährige die gut 40 Kräuter. Er weiß, wie er mit deren Aromen die bodenständigen Gerichte der Alb modern interpretieren kann. Sichtbar stolz ist er, dass er im fernen Berlin beim Fest des Bundespräsidenten schon mal rund 2500 Portionen Suppe aus seiner Biomanufaktur ausgegeben hat.
Sein Großvater hatte den Bauernhof als Erster auf der Alb auf Bioanbau umgestellt und als Demeter-Hof betrieben. Heute ist bis auf wenige Ausnahmen alles bio, was bei Tress auf den Tisch kommt und seine Manufaktur verlässt. Die Gemüse aus dem Kräutergarten reichen nur für den Gasthof des Biohotels, aber auch in seiner Biomanufaktur verwendet er nur regional erzeugte Rohstoffe aus kontrolliert ökologischem Anbau. „Die Gruppe derer, die ihre Zukunft im biologischen Anbau sehen, ist größer geworden“, sagt er.
Mehrere ökologisch erzeugte Spezialitäten von der Alb sind Passagiere der „Arche des Geschmacks“. Damit will die internationale Genießervereinigung Slow Food Lebensmittel vor dem Aussterben retten. Der Anbau der Alblinse oder Leisa, wie man sie in Schwaben nennt, wurde Mitte vergangenen Jahrhunderts aufgegeben. Erst in den 1980er Jahren wagte der Bioland-Bauer Woldemar Mammel einen Neuanfang und konnte inzwischen 51 Mitstreiter um sich scharen. Das war nicht leicht: „Die Bauern waren froh, als das 'alte Glomp' endlich von ihren Äckern verschwunden war“, erinnert sich der 69-Jährige.
Warum er es wieder angebaut hat? „Weil i des Glomp so gern ess“, verrät er darauf mit einem Lächeln. Seit 2011 hat sein Sohn Lutz auch die verloren gegangene kleine Späth'sche Alblinse 2 wieder im Angebot. Ein Hobbybauer hatte sie in einer Genbank in Russland entdeckt und zurück nach Deutschland gebracht. „Die Alb-Leisa verkaufen nur Bioläden und Reformhäuser in Baden-Württemberg und in Bayrisch-Schwaben“, sagt Mammel und wehrt Anfragen von außerhalb ab. „Obwohl wir 2011 doppelt so viel produziert haben wie im Vorjahr, ist die Ernte schon fast wieder ausverkauft.“
Die kleine bissfeste, beige bis hellbraune Linse verwendet auch Simon Tress gerne in der Küche seiner Hofkäserei. Für sein Allerlei von Albbüffel & Alblinse liefert ihm Helmut Rauscher vom nahen Heidäckerhof Fleisch, Kutteln und einen Albzarella, der es mit dem italienischen Mozarella di Bufala gut aufnehmen kann.
Was einst als Marketingidee begann, ist für den ökologischen Demonstrationsbetrieb inzwischen zum Wirtschaftsfaktor geworden. Denn die majestätischen, aber genügsamen Urviecher, die sich auf der Weide zusammengerottet haben, als Rauscher seine Gäste zu ihnen führt, passten sich den kargen Böden der Alb gut an. Aus der Milch der Tiere produziert er neben dem Albzarella verschiedene Rohmilchkäse wie den leckeren Minibüffel, die er im kleinen Hofladen feilbietet.
Auch die Albschnecke ist Arche-Passagierin. „Schleimig, säumig, aber stete, immer auf dem nächsten Pfad/Finden sie die Gartenbeete mit dem schönen Kopfsalat“, dichtete einst Wilhelm Busch über sie. Rita Goller ist eine von einer Handvoll Kleinerzeuger, die sich der schleimigen Zeitgenossen in ihrem Schneckengarten annimmt. Rund 30 000 Exemplare der Helix pomatia, der gewöhnlichen Weinbergschnecke, kriechen dort von Frühjahr bis Herbst durchs Gras. 10 000 davon werden ab November vermarktet.
„Wenn ich nicht täglich Salat, Raps, Löwenzahn und Brennnesseln zufüttere, würden die Tiere hungern“, erzählt die Biosphärenbotschafterin und verteilt einen Korb Kopfsalat. Die mit Kunststoffnetzen abgegrenzten Schneckenweiden hat sie nach historischen Vorgaben angelegt. „Bei uns werden die Tiere mindestens vier Jahre alt und im Winter geerntet, wenn sie den Darm entleert und ihr Haus mit einem Kalkdeckel verschlossen haben, um zu schlafen.“ Schwäbische Auster nenne man sie deshalb.
Ihr Fleisch ist proteinreich und fettarm. „Schnecken aus dem Supermarkt werden kein Jahr alt, und an ihnen schmeckt vor allem die Kräuterbutter. Die hier haben einen ganz eigenen Geschmack - wie Kalbfleisch“, schwärmt die 52-Jährige. Das haben inzwischen auch die Gastronomen von der Alb entdeckt, die im Winter Schneckengerichte wie Schnecken-Bärlauch-Suppe oder Schneckenragout auf Bandnudeln anbieten. Reich werden kann sie bei den 50 Cent, die sie pro Schnecke verlangt, nicht. Doch Rita Goller liebt ihr Hobby - und ihre Schnecken.
Literatur:
Jirosch, Oliver : Simon Tress. Die neue schwäbische Küche, Oertel & Spoerer, 144 S., Euro 24,90, ISBN-13 978-3886274666