Schnelle Info bei Vergiftungen
Giftig oder harmlos? In Notfällen müssen Ärzte wissen, wie das Produkt zusammengesetzt ist. Eine neue Identifikationsnummer soll helfen.
Düsseldorf. Es ist eine Situation, in der wohl keine Mutter und kein Vater ruhiges Blut bewahren können: Wenn das Kind einen tiefen Schluck aus der Putzmittelflasche genommen oder am Pflanzenschutzmittel genippt hat. Gerade in solchen Vergiftungsnotfällen ist es aber entscheidend, dass die Eltern den Helfern alle notwendigen Informationen geben, damit diese schnell und richtig reagieren können - dies kann lebensrettend sein. Um den Informationsfluss zu verbessern, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit Sitz in Berlin nun eine neue Kennzeichnung von Haushaltschemikalien entwickelt. Schönheitsfehler: Das System ist bislang für die Industrie freiwillig.
Allein bei der für Nordrhein-Westfalen zuständigen Informationszentrale gegen Vergiftungen gehen pro Tag 80Anrufe zu Notfällen ein, rund 28000 pro Jahr. Eltern, aber auch Ärzte in Krankenhäusern wollen von den Fachleuten in Bonn wissen, wie sie in einem Vergiftungsnotfall reagieren müssen. Die Informationen zur Zusammensetzung der Produkte sind in einer Datenbank gespeichert - die Hersteller beispielsweise von Wasch-, Reinigungs- und Pflanzenschutzmitteln müssen ihre Rezepturen melden. Allein: Die Vergiftungszentrale muss klären, um welches Produkt es sich eigentlich handelt.
Carola Seidel, Anästhesistin und stellvertretende Leiterin der Zentrale: "Stellen Sie sich vor, eine Mutter ruft an und nennt einen Produktnamen. Dahinter können sich aber bis zu 20 verschiedene Sorten mit jeweils anderen Zusammensetzungen verstecken." Ein Name reiche dann nicht aus. Und in einer Paniksituation noch mehr Informationen auf der Verpackung zu erkennen, ist schwer.
Nach Angaben des BfR gehen in ganz Europa pro Jahr rund eine Million Anrufe zu Vergiftungsfällen ein. In bis zu 40 Prozent der Fälle könne die exakte Rezeptur nur schwer ermittelt werden.
Hier soll der Vorschlag des Bundesinstituts greifen: Das BfR entwickelte eine Identifikationsnummer, mit der nicht nur der Hersteller, sondern auch das genaue Produkt identifiziert werden kann, wie Axel Hahn vom Institut erklärt. In unmittelbarer Nähe zum Barcode soll ein "i" für Informationen eingeführt werden, gefolgt von einer fünfstelligen Zahl für den Hersteller und einer ebenfalls fünfstelligen Zahl für die Rezeptur des Produktes. Daneben steht das Gefahrensymbol (siehe Bild).
Der Zeitpunkt für die Einführung des neuen Kennzeichnungssystems ist nach Ansicht von Hahn günstig. Die Europäische Union (EU) hatte im vergangenen Herbst eine Verordnung verabschiedet, um europaweit einheitliche Warnzeichen für gefährliche Chemikalien einzuführen. Von 2012 beziehungsweise 2017 an sind diese neuen Symbole Pflicht - die Hersteller müssen ihre Verpackungen also sowieso ändern, wie Hahn erläutert. Dann könnten sie direkt die neue Kennzeichnung einführen.
Carola Seidel von der Giftnotrufzentrale begrüßt die neue Kennzeichnung. Über eine solche Nummer könne schnell die chemische Zusammensetzung jedes Produktes geklärt werden. Damit fielen auch Nachfragen bei den Herstellern weg. "Und wir könnten schneller Entwarnung geben. Denn in neun von zehn Vergiftungsfällen bei Kindern sind die Folgen nicht dramatisch."
Auch die Industrie zeigt sich offen für das neue System. Bernd Glassl vom Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) geht davon aus, dass die Hersteller die neue "i"-Nummer auf ihren Produkten abdrucken werden, "wenn sie die Notwendigkeit" sehen. Also wenn sie befürchteten, dass es zu Verwechslungen von verschiedenen Produktsorten kommen könnte. Das IKW war in die Erarbeitung der Kennzeichnung eingebunden.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht die freiwillige Regelung aber nur als ersten Schritt. "Es wäre schön, wenn das Gesetzescharakter bekommt", sagt Hahn.