Schwerhörigkeit fällt erst anderen auf

Neumünster (dpa/tmn) - Schwerhörigkeit ist weit verbreitet. Trotzdem merken die meisten Betroffenen nicht, dass sie Probleme haben - sie haben sich an ihr immer schlechter werdendes Hörvermögen gewöhnt.

Bei der Diagnose spielen Angehörige daher eine wichtige Rolle.

Der Hinweis kommt meist von Angehörigen oder Freunden. Ihnen fällt irgendwann auf, dass der Fernseher zu Hause immer extrem laut gestellt ist oder Unterhaltungen mit den Enkelkindern kaum noch stattfinden. Dass mit ihrem Gehör etwas nicht stimmt, auf diesen Gedanken kommen die Betroffenen dagegen eher selten von selbst. Denn Schwerhörigkeit tritt schleichend ein - sie gewöhnen sich an ihr schlechter werdendes Hörvermögen. Dabei ist rechtzeitiges Gegensteuern enorm wichtig. Denn nicht behandelte Hörschäden haben auch erhebliche soziale Folgen.

Schwerhörigkeit ist kein Randproblem. Nach Angaben der Deutschen Seniorenliga leiden in Deutschland mehr als 14 Millionen Menschen unter einem eingeschränkten Hörvermögen. Damit sei Schwerhörigkeit sogar noch weiter verbreitet als Kurz- oder Weitsichtigkeit. Als Ursachen für Hörschäden kommen hohe Lärmbelastungen, Erkrankungen oder wie in den meisten Fällen ganz einfach das Alter in Betracht.

Große Lautstärken können die empfindlichen Sinneszellen im Ohr schädigen. Auch Ohrentzündungen, Tumore oder gutartige Knoten im Ohr kämen als Ursache infrage, sagt Jan Löhler vom Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte in Neumünster. Das Alter spielt insofern eine Rolle, als dass das Gehör von Geburt an immer schlechter wird.

Daraus resultiert die sogenannte Abnutzungs-Schwerhörigkeit, erläutert Löhler. Sie stelle sich früher oder später bei jedem Menschen ein. „Die äußeren Haarzellen unterliegen natürlichem Verschleiß“, erklärt der Facharzt für HNO-Heilkunde. Die Haarzellen übernehmen im Innenohr eine Art Empfängerfunktion und wandeln die mechanischen Schwingungen in elektrische Impulse um, die der Hörnerv zum Hörzentrum im Gehirn weiterleitet. Der natürliche Verschleiß führt dazu, dass zuerst hohe Töne nicht mehr wahrgenommen werden.

Während die Betroffenen akute Gehörschädigungen sofort bemerken, bekommen sie eine Abnutzungs-Schwerhörigkeit wegen des Gewöhnungseffektes kaum mit. „Man merkt es vor allem in schwierigen Hörsituationen“, sagt Löhler. Ein Indiz für eine Abnutzungs-Schwerhörigkeit ist, wenn Zuhörer bei den Dialogen nicht mehr ganz mitkommen. In Einzelgesprächen fallen die Hördefizite dagegen kaum auf, weshalb viele Patienten im Gespräch mit dem HNO-Arzt verwundert erwidern: „Aber ich verstehe Sie doch gut!“

Eher bemerken die Angehörigen eine Schwerhörigkeit. Neben dem lauten Fernseher kann es Löhler zufolge ein Anzeichen dafür sein, wenn sich ältere Verwandte zurückziehen und nicht mehr an Gesprächen beteiligen. Denn vielen ist eine Schwerhörigkeit peinlich. Sie fühlen sich alt und gebrechlich und empfinden Schwerhörigkeit als einen Makel, erläutert der Deutsche Schwerhörigenbund. Desintegration, Verlust von Kontakten und Vereinsamung können die sozialen Folgen einer ignorierten Schwerhörigkeit sein.

Ein Problem ist auch, dass durch Ignorieren der Defizite ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird. Denn mit der Zeit geht bei Schwerhörigen laut Löhler auch Intelligenz verloren: „Das Gehirn muss für alle Töne empfangsbereit sein. Hören ist eine intellektuelle Leistung, die ständig geübt werden muss.“ Ebenso muss die Sprache gepflegt werden, damit sie nicht verkümmert. Außerdem verringert sich die Chance, sich an ein Hörgerät zu gewöhnen.

Hinzu kommt, dass das Gehör weitere wichtige Funktionen übernimmt, die durch Hörschäden ebenfalls beeinträchtigt sind. Der Hörsinn alarmiert und warnt, erläutert die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker. Das wird in Situationen, in denen Gefahren nicht gesehen werden, wichtig - zum Beispiel im Straßenverkehr. Jan Löhler empfiehlt daher, eine Schwerhörigkeit immer möglichst bald von einem HNO-Facharzt abklären zu lassen.