„Self-Tracking“ - Trend zur Selbstvermessung
Köln (dpa) - Smartphones verraten heute viel über ihren Besitzer. Sie können seine Schritte zählen, Daten über sein Gewicht sammeln und seinen Schlafrhythmus erforschen. Was sie noch nicht können, ist, sich gegen ungestüme Tiere zu erwehren.
Andreas Schreiber versaut das regelmäßig die Messreihe. „Ich habe einen Hund, der sehr nervt, der mindestens fünfmal die Nacht aufs Bett springt“, sagt er. Sein Smartphone, das die Bewegungen auf seiner Matratze und damit den Schlaf misst, bringt das komplett durcheinander. Er notiert dann „Hund war auf Bett“. Für die Datenanalyse.
Schreiber interessiert sich sehr für Daten, die er selbst über sich sammeln kann, nicht nur beim Schlafen. Und er ist nicht der Einzige. Die Geschichte mit dem Hund erzählt er auf einem Treffen der „Quantified Self“-Gruppe in Köln. Solche Gruppen gibt es auf der ganzen Welt und auch in vielen deutschen Städten. Man tauscht aus, was man über seinen Körper herausgefunden hat. Und vor allem: wie. Es ist eine Mischung aus Gesundheitsseminar und Technikshow.
Selbstvermessung liegt im Trend. Tag für Tag werfen Entwickler neue elektronische Gadgets auf den Markt, mit dem sich das eigene Leben in Zahlen und Grafiken darstellen lässt. Auch die IFA im September stand unter dem Eindruck der „Wearables“. Technik, die man am Körper tragen kann und die Daten an Smartphones übermittelt, gilt als heißer Wachstumsmarkt. Fitnesstracker, die den Puls messen oder die Schritte zählen, sind längst im Mainstream angekommen.
Schreiber und seine Kölner „Quantified Self“-Gruppe sind eine Art Pioniere der Selbstvermessung. Sie praktizierten es schon zu einer Zeit, als es noch ein Nischenthema war. „Ich habe damals meine Schritte manuell vom Gerät abgeschrieben und auf eine Webseite eingetragen“, sagt Schreiber. Heute kann er von einem Stirnband berichten, das angeblich Gehirnströme misst.
Was ist die Motivation dahinter? „Es gibt drei Aspekte: Gesundheit, Fitness, Spieltrieb. Bei mir ist es die Gesundheit und der Spieltrieb“, sagt Schreiber. Er fing nach einem Schlaganfall an. „Ich sollte meinen Blutdruck und mein Gewicht aufzeichnen.“ Nun untersucht er beispielsweise selbst, ob sein Kaffeekonsum Auswirkungen auf seinen Blutdruck hat. Er hat auch eine Firma mitgegründet, um Apps dafür zu entwickeln. Viele in der „Quantified Self“-Szene verbindet eine gewisse Technikverliebtheit. Chantal Pannacci etwa, die auch bei dem Kölner Treffen ist, erzählt von ihrer W-LAN-Waage.
Stefan Selke von der Hochschule Furtwangen hat ein Buch über das Thema geschrieben. Er berichtet von einem Treffen mit einem Selbstvermesser, der sich Sensoren in den Körper implantieren ließ. Damit wird die Körpertemperatur gemessen und zum Beispiel die Heizung im Haus darauf abgestimmt gesteuert. Selke warnt davor, die ganze Entwicklung als Spielerei abzutun.
„Unser Menschenbild wird dadurch extrem maschinistisch. Diese Zerlegung in Einzeldaten ist praktisch dasselbe wie die Zerlegung einer Kaffeemaschine in Einzelteile. Und die Illusion, die da mitschwingt, ist die völlige Austauschbarkeit von einzelnen Faktoren“ sagt er. Hinzu kommen einige eher handwerkliche Probleme bei der Selbstoptimierung. „Für eine Interpretation braucht man Kontext. Und wenn man den Kontext nicht hat, sind die Daten sinnlos“, sagt Selke.
Für den Kontext hat Andreas Schreiber momentan noch seinen Arzt. Der freue sich bei seinen Terminen über all die Daten. „Er kann viel bessere Entscheidungen treffen“, sagt Schreiber. „Er will nur nicht, dass ich ihm vorschreibe, was für Medikamente ich bekommen soll.“