Süßkraft aus Pflanzen - Stevia kann beim Abnehmen helfen
Hohenheim (dpa/tmn) - Es gilt als das neue Wundermittel für Naschkatzen: Der aus den Blättern der Steviapflanze gewonnene Stoff ist kalorienfrei und um ein Vielfaches süßer als Zucker. Übertreiben sollte man es damit allerdings trotzdem nicht, warnen Experten.
Es ist eine unscheinbare Pflanze aus dem Grenzgebiet zwischen Paraguay und Brasilien, deren Produkte langsam ihren Weg in unsere Supermarktregale finden: Stevia rebaudiana, kurz Stevia, birgt Stoffe in sich, die Udo Kienle von der Universität Hohenheim als den „Zucker des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Das aus den Blättern der Steviapflanze gewonnene Steviolglykosid ist 200- bis 300-mal süßer als Zucker und seit Dezember 2011 in der Europäischen Union (EU) als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen (hier gibt es Infos vom Bundesministerium für Ernährung). Da es praktisch kalorienfrei ist und auch den Zähnen nicht schadet, gilt es als „gesunde Süße“ - von der man allerdings nicht zu viel zu sich nehmen darf. Denn es gilt ein Höchstwert von täglich ungefähr 10 Milligramm pro Kilo Körpergewicht.
Steviolglykosid darf in Milchprodukten, Getränken und Marmeladen eingesetzt werden. Verbraucher erkennen es an dem Kürzel E 960 auf der Zutatenliste. Auch als Streusüße für den Haushalt ist das Steviaextrakt bereits im Handel. Beim Kuchenbacken ist der Einsatz allerdings schwierig. „Steviolglykosid hat zu wenig Volumen und kann den Zucker daher nicht ersetzen“, sagt Gudrun Köster von der Verbraucherzentrale in Kiel.
Viele Lebensmittelhersteller kombinieren daher den neuen Süßstoff mit klassischem Zucker und werben mit dem Bild einer Steviapflanze und dem natürlichen Ursprung des Süßstoffs. Das sieht die Verbraucherschützerin kritisch: „Steviolglykosid ist ein isolierter Bestandteil, der unter Einsatz von Chemie und mit komplizierten physikalischen Verfahren gewonnen wird, mit 'Natur' darf also nicht geworben werden.“
Ein reines Naturprodukt sind die Steviablätter. Auch sie schmecken schon 20- bis 30-mal süßer als Zucker, sind in der EU jedoch nicht als Lebensmittel zugelassen. Dennoch schwören Steviafans wie der Botaniker Peter Klock aus Hamburg auf die Pflanze: „Das ist völlig unproblematisch, Stevia wird in der ganzen Welt eingesetzt“, sagt er. Klock hat sich auf exotische Pflanzen spezialisiert und weiß auch, dass den Steviablättern Heilkraft nachgesagt wird, etwa die Senkung des Blutzuckerspiegels. „Mit diesen Nebeneffekten muss man aufpassen“, warnt allerdings Kienle. Er verweist darauf, dass es dazu keine klaren wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt.
Auch Prof. Hermann von Lilienfeld-Toal vom Deutschen Diabetiker Bund in Hessen mahnt zur Vorsicht. „Gerade bei einem Tee-Aufguss mit Pflanzenblättern werden viele unbekannte Inhaltsstoffe gelöst.“ Der Diabetologe rät daher, beim zugelassenen Extrakt Steviolglykosid zu bleiben. Ihm schmeckt es zwar nur ein wenig besser als andere Süßungsmittel, doch er hält den Einsatz für sinnvoll, wenn man abnehmen möchte. Für Diabetiker ist es allerdings kein Wundermittel: Denn da komme es auf eine insgesamt bewusste Ernährung an, bei der die Fettaufnahme eine große Rolle spielt.
Auch Agrarwissenschaftler Kienle hat sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Steviolglykosid beschäftigt. „Der Austausch von Zucker in der Nahrung ist immer nur die halbe Miete“, sagt er. Kienle benutzt Steviolglykosid schon seit Jahren zum Süßen, denn in der Schweiz war das Produkt bereits vor der EU-Zulassung im Handel. Negative Erfahrung hat er damit keine gemacht, er warnt lediglich vor dem Erwerb im Internet. „Da sollte man konsequent die Finger weg lassen!“, rät er. Beim Einkauf im Supermarkt sei hingegen klar, dass die Steviaprodukte in Ordnung sind.
Verbraucherschützerin Köster hält das auch für den sichersten Weg. „Die Zulassung hat da für Klarheit gesorgt“, sagt sie. „Der Verbraucher kann sich jetzt auf die Reinheit des Produkts verlassen.“ Lediglich die Höchstmenge von etwa 10 mg Steviolglykosid beziehungweise 4 mg Stevioläquivalente - so die genaue, aber etwas umständliche Regelung - pro Kilo Körpergewicht und Tag bereitet der Lebensmittelexpertin noch Sorgen. „Bei einem Kind ist die schon mit einer Flasche Limonade überschritten.“
Allerdings gibt es keine Erkenntnisse, was Steviolgykosid bei dauerhafter Überdosierung bewirkt. Studien dazu fehlen schlichtweg und wurden bei der Zulassung auch nicht verlangt. Heidrun Mund vom Süßstoffverband in Köln sieht das nicht als Problem: „Bei der Höchstmenge ist ein hundertfacher Sicherheitsfaktor drin“, sagt sie. Und verweist darauf, dass die zulassenden Behörden die Sicherheit des Zusatzstoffes garantieren und nach weltweit gültigen Standards handeln. Auch Steviaexperte Kienle sagt: „Der Stoff wäre nicht zugelassen worden, wenn er per se gefährlich wäre.“ Stevia wurde vereinzelt als krebserregend oder gefährlich für die Fruchtbarkeit bezeichnet. Doch diese Behauptungen gehen Kienle zufolge auf Studien zurück, die methodisch falsch durchgeführt wurden.
Literatur
Udo Kienle: Stevia rebaudiana. Der Zucker des 21. Jahrhunderts. Spurbuchverlag. 184 S. Euro 19,80, ISBN-13: 978-3-88778-356-3.
Peter, Monika und Thorsten Klock: Stevia - gesunde Süße selbst gemacht. BLV. 126 S. Euro 12,95, ISBN-13: 978-3-8354-0962-0.