Tropfen und schniefen: Taschentuch schlägt Hochziehen
Frankfurt (Oder) (dpa) - Winterzeit ist Schnupfenzeit. Wenn die Nase läuft und ein Taschentuch fehlt, kann es kritisch werden. Hochziehen und Ekel bei den lieben Mitmenschen riskieren? Eher nicht, meint eine Benimm-Expertin.
Vor dem Tropfen kommt das Schniefen. Mal kurz und leise, ein anderes Mal ruckartig, laut und inbrünstig. Hin und wieder landet dann noch ein kleiner Flatschen auf dem Gehweg. Wer es unappetitlich findet, wenn Mitmenschen die Nase hochziehen, ist in guter Gesellschaft. „Die meisten Deutschen ekeln sich“, sagt die Leiterin des Deutschen Knigge-Rates, Agnes Jarosch.
Gerade ist Saison. Der Winter bringt Schnupfen und verstopfte Nasen. Entsprechende Geräusche sind in Geschäften, Bahnen, Büros und auf der Straße zu hören. Wem die Nase wegen Krankheit tropft, kann oft gar nicht anders als zwischendurch mal hochzuziehen. Dass ein Taschentuch verschmäht wird, kann aber auch einem Tick geschuldet oder schlicht Provokation sein.
Auch wenn es empfindlichen Zeitgenossen anders vorkommt - einen Trend zum Nasehochziehen gebe es nicht, erklärt Jarosch. „Mit Blick auf die Globalisierung kommt es aber durchaus öfter vor.“ Denn ob sich jemand schnäuzt oder den Schleim anderweitig beseitigt, ist eine Frage der Sozialisation. Beispiel Ostasien: „Da ist das Hochziehen Standard, höflich und kulturell akzeptiert“, sagt Jarosch, die selbst vier Jahre in Südkorea gelebt hat.
Ein Taschentuch zum Beispiel in einer Restaurantgesellschaft zu benutzen, sei ein Tabu. „In ein Taschentuch zu schnäuzen, wird dort genauso unangenehm empfunden wie bei uns das Nasehochziehen“, sagt Jarosch. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenträfen, seien die Gepflogenheiten des Gastlandes zu beachten - die sich durchaus als Small-Talk-Thema eigneten. Zu lautes Schnäuzen gilt Jarosch zufolge übrigens auch in Deutschland als störend und taktlos.
Immer wieder ist zu hören, dass das Nasehochziehen gesund sein soll. „Ich halte nicht viel davon“, sagt die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Constanze Naas. Weil es Verbindungen zu den Nasennebenhöhlen gebe, könnten Schleim und Keime dorthin gelangen und eine Entzündung hervorrufen. Auch andere Folgekrankheiten seien denkbar.
Kindern bringe sie in ihrer Praxis in Frankfurt (Oder) hin und wieder das Schnäuzen bei. „Manche fangen mit eineinhalb Jahren an, manche können es mit fünf noch nicht“, erzählt Naas. „Das ist eine Erziehungsfrage. Ich denke, dahinter kann Faulheit stecken.“
Zwei bis drei Jahre ihres Lebens verbrächten die Menschen mit laufender Nase, teilt Tiina Decker mit. Sie kümmert sich um die Pressearbeit für „Tempo“, Inbegriff des Taschentuches. Jeder Deutsche verbrauche pro Jahr 55 Päckchen Taschentücher.
Die Papiervariante liegt deutlich vorn. „Stofftücher sind aber bei Gentlemen anzutreffen“, sagt Benimm-Expertin Jarosch. Aus Gründen der Hygiene seien Papiertücher vorzuziehen - sofern man sie gleich nach dem Gebrauch wegwirft. Wenn man im Zug oder an einer Bushaltestelle dann doch mal in Bedrängnis gerät, empfiehlt Jarosch, Nachbarn anzusprechen. „Mit einem Taschentuch hilft jeder sicher gerne aus.“