Welt-Autismus-Tag: Kinder frühzeitig fördern
Osnabrück (dpa) - Autismus fällt schon im Kindesalter auf. Expertenschätzungen zufolge sind weltweit rund 67 Millionen Menschen betroffen. Heilen lässt sich Autismus nicht, aber es gibt eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten.
Wichtig ist eine frühe Förderung.
Sie fallen schon in den ersten drei Lebensjahren auf: Kinder mit frühkindlichem Autismus. „Die Kinder lassen sich nicht in den Arm nehmen, sprechen nicht oder kaum und suchen keinen Blickkontakt“, sagt Maria Kaminski vom Bundesverband Autismus Deutschland. Sie entwickeln intensives Interesse in einzelnen Gebieten, etwa Elektrizität oder Küchengeräte. Für Menschen jedoch interessieren sie sich wenig, und sie sind oft nicht in der Lage, soziale Kontakte aufzubauen. Unvorhergesehenes überfordert sie. Nicht selten sind Kinder mit frühkindlichem Autismus aggressiv. Viele von ihnen wiederholen immer wieder die gleichen Bewegungen, wie die Hände auszuschütteln. „Für Eltern ist die Erziehung dieser Kinder eine Riesenherausforderung“, sagt Kaminski aus Osnabrück.
Vor einigen Jahren riefen die Vereinten Nationen den Welt-Autismus-Tag aus. Er wird jährlich am 2. April begangen. Auch einige der mehr als 50 Regionalverbände von Kaminskis Organisation werden daher Tagungen zu diesem Thema veranstalten.
Experten gehen davon aus, dass bis zu ein Prozent der Bevölkerung von einer autistischen Störung betroffen ist. Genaue Zahlen für Deutschland liegen nicht vor. Die UN schätzen, dass es weltweit 67 Millionen Autisten gibt. Jungen sind vier Mal häufiger betroffen als Mädchen, sagt die Frankfurter Professorin Christine Freitag.
Nicht alle haben jedoch eine frühkindliche, tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den ersten Lebensjahren beginnt. So gehört zu den Autismusspektrumsstörungen auch das Asperger-Syndrom, das sich ungefähr ab dem dritten oder vierten Lebensjahr abzeichnet. „Diese Kinder haben Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und gelten beispielsweise als Eigenbrötler mit besonderen Begabungen“, sagt Kaminski. „Sie kommen oft in der Pubertät in Schwierigkeiten, weil sie merken, dass sie anders sind als andere, und sind dann nicht selten Opfer von Mobbing.“
Doch was weiß man über die Herkunft von Autismus in all seinen Ausprägungen? „Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass es eine genetische Komponente gibt“, sagt Freitag. Sie war beteiligt an einer Veröffentlichung des Autism Genome Projects im Fachjournal „Nature“. Für die Studie wurde das Erbgut von 1000 Autisten und 1300 Menschen ohne die Entwicklungsstörung untersucht.
„Es stellte sich heraus, dass bei Menschen mit Autismus ganze Chromosomen-Abschnitte, also jeweils mehrere Gene, ganz fehlten oder doppelt vorlagen.“ Teilweise hatten der Expertin zufolge die Patienten diese Veränderungen nicht von ihren Eltern geerbt, sondern die Mutationen waren neu aufgetreten. Freitag ist Professorin an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Heilung gibt es für die autistischen Kinder und Erwachsenen nicht, aber eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten. Vor allem intensive verhaltenstherapeutisch basierte Verfahren spielen eine Rolle, die auch die Eltern sowie den Kindergarten und die Schule mit einbeziehen. Es reicht nicht aus, die Kinder zu behandeln. Die Eltern und das weitere soziale Umfeld müssen mit im Boot sein.
Eltern müssten unter anderem lernen, wie sie mit den Kindern reden können. „Beispielsweise verstehen Autisten keine Metaphern oder Ironie“, sagt Kaminski. Autistische Kinder bräuchten von klein auf Verhaltenstraining, beispielsweise wie man sich gegenseitig begrüßt, und ganz klare Strukturen. „Das Wichtigste ist, dass die Eltern am Ball bleiben, die Förderung darf nicht mit dem Schulalter aufhören.“
Manchen der autistischen Mädchen und Jungen könne mit Medikamenten geholfen werden bei einzelnen schwerwiegenden Symptomen, sagt Freitag. „Dazu gehören zum Beispiel die Aufmerksamkeitsstörungen, Aggressivität oder depressive Verstimmungen, die vor allem im jugendlichen Alter auftreten können. Aber diese Medikamente verändern nicht die autistischen Kernsymptome.“
Neuere Grundlagenforschung beschäftigt sich mit dem „Kuschelhormon“ Oxytocin. Es beeinflusst beispielsweise das Vertrauen und die Bindung zwischen Mutter und Neugeborenen, die sexuelle Aktivität bei Erwachsenen und soll ausgleichend bei Stress wirken.
Mit Hilfe von Computertests zeigten französische Forscher in einer kleinen Studie, dass die Gabe von Oxytocin per Nasenspray das Beobachten von menschlichen Gesichtern für die autistischen Probanden „angenehmer“ machte - so betrachteten die Teilnehmer die gezeigten Gesichter zum Beispiel etwas länger. „Doch von einer breit angelegten Anwendung von Oxytocin-Nasenspray sind wir noch weit entfernt“, betont Freitag. „Es ist völlig offen: Kommt es durch das Hormon zu einem bleibenden Effekt, oder ist er nur kurzfristig?“
Wie viele Menschen mit Autismusspektrumsstörungen in Deutschland einem normalen Schul- und Berufsleben nachgehen können, ist laut Freitag und Kaminski unklar. „Das hängt vor allem auch mit der Intelligenz zusammen“, sagt Freitag. Die Bandbreite reiche von überdurchschnittlicher Intelligenz bis hin zur geistigen Behinderung.
Aus Studien in Schweden oder Großbritannien könne man abschätzen, dass bis zu einem Viertel der Patienten mit guter Begabung es „ganz gut schafften“, im Erwachsenenalter weitgehend selbstständig zu leben. An Freitags Institut wollen die Wissenschaftler nun Patienten kontaktieren, die dort einmal vorgestellt wurden, und nachvollziehen, wie diese nun leben.