Der Kult um Kitsch: Trendige Hingucker im Regal

Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Geht es nach der Branche für Deko-Artikel, hält Kitsch Einzug in die Wohnräume. Und das sieht gut aus. Ob alt, neu, hässlich oder niedlich - Kitsch im modernen Wohnraum kann kultig wirken.

Aber nur in kleinen Dosen und richtig kombiniert.

Das Rosen-Dekor ist Kitsch. Das Rüschen-Kissen ist Kitsch. Die Kuckucksuhr, der Kronleuchter, das kleine Stoff-Vögelchen und die Porzellanfigur sind auch Kitsch. Egal. Denn Kitsch muss jetzt sein, sagen die Trendexperten der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt. Man hole ihn von Dachboden oder aus dem Keller hervor - und notfalls kaufe man Kitsch sogar - und stelle ihn in kleinen Dosen ins modern eingerichtete Wohnzimmer. Diese ironische Brechung genügt und aus Kitsch werde Kult.

Was ist aber eigentlich Kitsch genau? Laut Brockhaus bezeichnet man damit billig hergestellten Kunstersatz. Andere Lexika sprechen Kitsch jeglichen künstlerischen Wert ab und nennen es geschmacklos. Bekommt man Kitsch geschenkt, landet er meist in der hintersten Ecke des Schrankes.

Neu ist er in den Wohnzimmern nicht. Kitsch war in der Dekorations-Branche nie out. Doch seit einiger Zeit setzen gerade geschätzte Designer wieder vermehrt auf dieses Spiel mit den Schmachtstücken im modernen Wohnraum. Dort finden nach ihrer Vorstellung geblümte, gemusterte und gerüschte Deko-Artikel ihren Platz neben puristischen, schnörkellosen und einfarbigen Großmöbeln.

„Kreative Stilmixe stehen neben Kombinationen, Kunsthandwerkliches neben Hochwertigem, Volkskunst und Manufaktur neben Massenware“, sagen die Frankfurter Experten. Auch auf der Möbelmesse IMM Cologne in Köln urteilen die Experten zu den eigenwilligen Kombinationen: „In der intelligenten Kombination entstehen völlig neue und erstaunlicherweise authentische Typologien.“

Doch damit Kitsch im Gesamtbild stilvoll aussehe, brauche es einige Regeln für die Kombination, sagt die Trendanalystin Gabriela Kaiser aus Weißdorf in Bayern. „Das gelingt, indem man die Farben stark reduziert. Man nimmt ein Weiß, ein Creme und höchstens noch Pastelltöne.“ Auch sollte man Stücke farblich gut aufeinander abstimmen. Kaiser hat ein Beispiel: „Ein Designer zeigte vor einiger Zeit eine Häkeldecke über einer modernen Couch. Das passte, denn Decke und Couch waren Ton in Ton.“

Die Aussteller auf der Ambiente zeigten ebenfalls ihre Vorstellungen von kultigem Kitsch: Sie hängen pastellfarbene Vogelhäuser an die weiße Zimmerwand und stellen eine Kerze in einen alten Vogelkäfig. Andere platzieren Wasserkaraffen mit Rosen-Motiv in einem Stahlregal, hängen Schmetterlingsanhänger an den Spiegel oder stapeln reich verzierte Zinn-Boxen in der Vitrine.

Sogar der Inbegriff deutschen Kitsches, der Gartenzwerg, kann im Bücherregal stehen. Auch Setzkästchen gibt es wieder - jene Regale mit winzigen Fächern, in denen man einst Parfüm-Flakons oder Überraschungsei-Figuren sammelte. Heute stellt man Andenken hinein und gibt dem Wohnzimmer damit eine sentimentale Ecke.

Aber auch Möbelstücke, die in sich selbst modern und alt sowie kitschig und kultig wirken, gibt es. Eine metallic-rote Barock-Kommode etwa, oder ein modernes Regal mit filigranen Keramik-Knäufen aus Omas Zeiten. Kare bietet etwa einen Tisch halb in weißem, geradlinigen Design, halb mit silberlackierten, geschwungenen Beinen im Barock-Stil an. Und Umbra-Designer Matt Carr kreierte ein Regal, indem er einen alten Tisch auseinandersägte, erzählt eine Unternehmenssprecherin. Die Hälften stellte er übereinander.

Viele Designer streifen inzwischen über Flohmärkte und suchen in Omas Kisten nach Inspiration: Donkey Products erschafft etwa Etageren für Pralinen und Gebäck aus alten Tassen und Tellern. Laura Pregger übermalt alte Ornamente auf Tellern mit modernen Fahrrad-Motiven.

Der Grund für Kitsch im Regal liegt nahe: „Die Branche und die Gesellschaft erlebt gerade eine Rückbesinnung auf echte Werte“, sagt Ursula Geismann, Trendexpertin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. Auch Kaiser sieht das so: „Wir suchen nach der heilen Welt. Durch solche Stücke, die aus Omas oder gar Uromas Wohnung stammen könnten, fühlt man sich in diese Zeit zurückversetzt.“ Man kreiere einen Platz, „an dem wir unsere Seele baumeln lassen können und an dem alle unsere Sinne angesprochen werden“. Liebgewonnenes wie Geschenke, Erbstücke und Erinnerungen, sind sie als Einzelteil auch hässlich, fänden daher ihren Platz im Regal.

Gerade die typischen Design-Formen der 50er Jahre, die häufig auf der Ambiente zu sehen waren - Tütenlampen, Nierentische, Punkte-Lampen und Rüschen-Decken - erinnern an diese familiären Werte und gleichzeitig an Fortschritt. Denn, so steht es in Designbüchern, damals richteten die Deutschen den Blick nach vorn. Die Krise war überwunden, der alte Muff kam aus den Zimmern. Und Dinge, die schön waren, wurden aufgestellt und Gästen gezeigt. Wie auch jetzt wieder.