Patientenverfügung: Selbst über das Sterben bestimmen
Die Deutsche Hospiz Stiftung berät und hilft beim Formulieren.
Dortmund. "Geben die Ärzte mich vielleicht zu früh auf, wenn ich eine Patientenverfügung gemacht habe? Müssen sie sich an meine Anweisungen halten? Wie mache ich eine Patientenverfügung, was muss ich da für welchen Fall regeln?" Fragen, die Doris Helms fast jeden Tag beantwortet. Die Diplom-Pflegewirtin, die 15Jahre als Krankenschwester unter anderem mit Tumorpatienten gearbeitet und dabei das Sterben hautnah miterlebt hat, berät Menschen, die ihr Schicksal in ihren letzten Stunden vorab selbst mit bestimmen möchten. Sie warnt davor, einfach Vordrucke zu verwenden, "die ja gar nicht auf den individuellen Fall und die eigenen Wertvorstellungen passen können". Kreuzt jemand nur vorformulierte Sätze an, liegt der Schluss nahe, dass er sich nicht wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Und riskiert, dass sein Wille, wenn die Situation einmal da sein wird, nicht ernst genommen wird.
Doris Helms arbeitet für die Deutsche Hospiz Stiftung. Eine Patientenschutzorganisation, die sich für das Recht auf Leben, aber auch für das Recht auf menschenwürdiges Sterben einsetzt. Helms berät nicht nur, sondern setzt nach der Beratung ein individuell formuliertes Dokument auf, das den im Gespräch zum Ausdruck gebrachten Willen klar festlegt. Das Dokument ist sechs bis zehn Seiten lang. Da ist Platz für ausführliche Handlungsanweisungen.
Die Wertvorstellungen, so betont Helms, sollten am Anfang jeder Patientenverfügung stehen. "Das kann zum Beispiel auch das Zitieren eines Falles aus der Verwandtschaft sein, verbunden mit dem Wunsch, dass man sich das eigene Ende auf keinen Fall in dieser Weise wünscht." Das können aber auch Lebenshaltungen, Hoffnungen, Ängste sein, deren Schilderung denjenigen, die am Ende über den Abbruch ärztlicher Maßnahmen entscheiden, als Auslegungshilfe für die Ermittlung des Patientenwillens über einen möglichen Behandlungssabbruch dienen.
Auch solle man keinesfalls medizinische oder pflegerische Maßnahmen pauschal ausschließen. Helms warnt vor Sätzen, wie sie in Musterformularen oft zu finden sind: "Ich schließe grundsätzlich künstliche Ernährung aus..." Mit solchen Sätzen könnte man ungewollt auch einen Behandlungsabbruch aus Kostengründen legitimieren.
Natürlich kann man auch seinen Hausarzt um Rat fragen. Die Bundesärztekammer rät ihren Ärzten, "den Patienten Beratung für mit der Patientenverfügung zusammenhängende medizinische Fragestellungen anzubieten". Doch wer an das Wartezimmer seines Hausarztes denkt, weiß, wie viel Zeit für solch eine Besprechung da ist. Auch ist die entsprechende Beratung keine Kassenleistung. Der Arzt hat also nur die Alternative, das Gespräch privat abzurechnen oder aber als kostenlosen Service anzubieten.
Zu Beginn ihrer Gespräche rät Helms, in die Patientenverfügung nicht nur das hineinzuschreiben, was man nicht will, sondern auch das einzufordern, was man will: Nämlich palliativtherapeutische Maßnahmen, die den Schmerz lindern. Und dann geht es in der Individualberatung ins Detail. Fragen, über die wohl niemand gerne nachdenkt, die Helms aber allen, die die Sache wirklich für sich regeln wollen, nicht ersparen kann. Was soll geschehen, wenn der unmittelbare Sterbeprozess begonnen hat, der Tod noch allenfalls Tage auf sich warten lassen wird?
Was will ich, wenn ich nach einem Autounfall oder Schlaganfall unumkehrbar gehirngeschädigt und dauerhaft bewusstlos bin? Will ich in einem solchen Fall, in dem ich vielleicht noch Monate weiterleben würde, künstliche Ernährung und Beatmung? Oder will ich diese Behandlungen auf beispielsweise vier Wochen begrenzen?
Was ist bei einem mehrfachen unumkehrbaren Organversagen, wie es zum Beispiel immer mal wieder aufgrund einer Blutvergiftung nach einer Operation kommt. Will ich dann intensivmedizinische Maßnahmen?
Und dann ist da noch der Fall des Wachkomas, bei dem der Todeszeitpunkt überhaupt nicht absehbar ist. Der Patient atmet selbstständig, die Organe, der Körper funktionieren. Aber er ist nicht ansprechbar, reagiert nicht. "Es gibt Fälle, vor allem bei jüngeren Menschen, da wacht der Patient wieder auf", sagt Helms. Aber ob und wann und in welchem Zustand er dann ist, das ist ungewiss." Jeder müsse selbst entscheiden, ob das für ihn eine akzeptable Lebensform ist, sagt Helms, die die Ratsuchenden hier nicht in eine Richtung drängt, nur die Situation schildert. Gerade in Wachkomafällen könne ein Behandlungs- oder Ernährungsabbruch auch nach dem Verstreichenlassen einer zuvor festgelegten Frist in Frage kommen.
Immer wieder werden die Angehörigen vorwurfsvoll gefragt: "Ja, möchten Sie denn, dass Ihre Mutter/Ihr Mann verhungert und verdurstet?" Eben die Nahrungsreduzierung und damit ein Ende des Leids ist aber gerade Inhalt der Patientenverfügung. Der Patient wollte es so und nicht anders - kann der Angehörige dann entgegenhalten, ohne sich moralisch unter Druck gesetzt fühlen zu müssen. Die Patientenverfügung entlastet insofern die Angehörigen.
Auch für den Fall fortgeschrittener Demenz kann man bestimmte ärztliche Maßnahmen ablehnen. Man sollte sich darüber klar werden: Lehne ich eine künstliche Ernährung - wenn sie denn notwendig würde - nur in der Sterbephase oder auch schon vorher bei weit fortgeschrittenem Hirnabbauprozess ab? Helms betont, dass auch dann, wenn der Intellekt reduziert ist, die Gefühle immer noch da sind. Und ein zufriedenes Leben möglich ist.
Weil sich mit fortgeschrittenem Alter die Lebensperspektiven ändern, ändern sich auch die Vorstellungen für das Lebensende. "Im Alter sieht man die Dinge anders, die Patientenverfügung sollte deshalb ein lebendiges Dokument sein." Helms rät, sich das darin Niedergeschriebene einmal im Jahr vor Augen zu führen. "Will ich das noch so?" Die Deutsche Hospiz Stiftung schreibt jährlich ihre Mitglieder an und ermuntert sie zu erneutem Nachdenken und gegebenenfalls einer Bekräftigung des Willens durch eine neue Unterschrift. Wie kommt Helms selbst damit klar, sich täglich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen? Sie ist da gelassen: "Der Tod wird vertraut, wenn man sich damit befasst."
Sterbehilfe – Was ist erlaubt, was ist verboten?
Patientenverfügung Diese bekommt in Fällen indirekter und passiver Sterbehilfe Bedeutung: Man macht seinen Willen für den Fall verbindlich, dass man sich nicht äußern kann.
Indirekte Sterbehilfe Ein Arzt gibt einem unheilbar Kranken mit dessen Einverständnis schmerzlindernde Medikamente, die als Nebenwirkung den Todeseintritt beschleunigen. Das ist nicht strafbar.
PASSIVE Sterbehilfe Dies ist der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bei tödlich verlaufender Erkrankung. Bewusstes Sterbenlassen etwa durch Abschalten eines Beatmungsgerätes ist zulässig, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht.
AKTIVE Sterbehilfe Das Töten eines Menschen etwa durch Spritzen einer Überdosis Medikamente. Dies ist Totschlag oder - bei ausdrücklichem Sterbewunsch des Patienten - strafbare Tötung auf Verlangen.
Beihilfe zur Selbsttötung Hier bleibt der letzte Schritt dem Sterbewilligen überlassen. Die derzeitige Rechtslage ist widersprüchlich. So darf etwa ein Angehöriger einem Sterbewilligen eine Überdosis Schlaftabletten in die Hand drücken. Hat der Sterbewillige sie geschluckt und ist bewusstlos geworden, muss der Angehörige aber den Notarzt rufen, um sich nicht der "unterlassenen Hilfeleistung" schuldig zu machen. Zuletzt wurde dies anhand des Falles des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch diskutiert, der einer lebensmüden Frau bei deren Freitod geholfen hatte. Es wird erwogen, die geschäftsmäßig geförderte Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen.
Unsicherheiten Auch heute schon ist eine Patientenverfügung grundsätzlich für Ärzte und Pfleger verbindlich. Daher ist es auch sinnvoll, sich über das Thema Gedanken zu machen und gegebenenfalls eine solche Patientenverfügung zu formulieren. Es gibt aber Unwägbarkeiten aufgrund nicht eindeutiger Gerichtsurteile. Daher wird im Bundestag über ein Gesetz über die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen debattiert.
Reichweitenbeschränkung Allerdings gibt es Streit, vor allem um eine Reichweitenbeschränkung: Soll eine Patientenverfügung nur verbindlich sein, wenn das Leiden "unumkehrbar tödlich" ist? Doch wie lässt sich das definieren? Und: Man würde den Willen von Menschen, die einen Behandlungsabbruch schon in früherem Stadium ausdrücklich wünschen, weil sie nicht monate- und jahrelang einen entsprechenden Zustand akzeptieren wollen, missachten.