Gewitter im Kopf des Tieres - Epilepsie bei Hunden und Katzen
München (dpa/tmn) - Auch Hunde und Katzen leiden unter Epilepsie. Unter Hunden ist sie sogar die häufigste neurologische Erkrankung. Ein drängendes Problem für Hunde- und Katzenhalter, das sie jedoch mit Medikamenten und Geduld meist gut in den Griff bekommen.
Fussel war neun Monate alt und raufte mit anderen Hunden im Wald, als er seinen ersten Anfall hatte. „Plötzlich hat er gekrampft, sein Hals war richtig verdreht“, erinnert sich Besitzerin Sabine Ballin. „Man ist in dem Moment unglaublich geschockt, auch wenn man das schon kennt“, erzählt sie. Drei Mischlingshunde hat die Berlinerin. Ihr elfjähriger Rüde Rowdy bekam mit fünf Jahren seinen ersten Anfall. Epilepsie ist die häufigste neurologische Erkrankung unter Hunden. Katzen sind etwas seltener betroffen.
Epilepsie ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Zu einem Anfall kommt es durch elektrische Entladungen im Gehirn. Ein epileptischer Anfall kann generalisiert oder fokal, sprich nur von einem Herd ausgehend, auftreten. „Generalisierte Anfälle betreffen den ganzen Körper“, erklärt Thomas Steidl, Kleintierpraktiker in Tübingen. Häufig verlieren die Tiere während solch eines Anfalls das Bewusstsein und können unterschiedliche Symptome zeigen: Sie speicheln, setzen Urin oder Kot ab, verdrehen die Augen, klappern mit dem Kiefer.
„Fokale Anfälle sind hingegen oft nur Verhaltensauffälligkeiten, daher sind sie schwer zu erkennen“, sagt der Tiermediziner. Mögliche Anzeichen sind Zuckungen von Gliedmaßen oder im Gesicht, unmotiviertes Bellen oder Heulen sowie Schnappbewegungen.
Je nach Ursache unterscheiden Tiermediziner die primäre, idiopathische Epilepsie sowie die sekundäre, symptomatische Epilepsie. Die symptomatische Epilepsie beschreibt Anfälle, die durch andere Erkrankungen ausgelöst werden. Die idiopathische Epilepsie ist - zumindest bei Hunden - genetisch bedingt. Für viele Hunderassen wie Golden Retriever, Labrador, Collie, Beagle oder Belgischen Schäferhund ist Epilepsie als Erbkrankheit nachgewiesen - nicht so für Katzen.
„Etwa 30 Prozent der epileptischen Anfälle bei Katzen haben eine unbekannte Ursache. Ob diese genetisch ist, weiß man nicht“, erklärt Prof. Andrea Fischer. Sie leitet die Neurologie der Medizinischen Kleintierklinik an der Universität München. Katzen leiden häufiger an sekundärer Epilepsie. Hunde sind etwa gleich stark von beiden Formen betroffen. Jedoch gilt: Ist ein Hund bei seinem ersten Anfall jünger als fünf Jahre, dann ist die Epilepsie sehr häufig genetisch bedingt.
Sowohl bei Hunden als auch bei Katzen kann derzeit nur durch Ausschlussverfahren ermittelt werden, ob es sich um eine primäre Epilepsie handelt. Erste Gentests für einige wenige Hunderassen seien in der Entwicklung, berichtet Fischer.
Beobachten Tierhalter erstmals einen Anfall, sollten sie zum Haustierarzt gehen - jedoch nicht panisch werden, rät Thomas Steidl. „Epilepsie ist selbstlimitierend, das heißt: Die Anfälle hören von selbst auf“, erklärt er. Meist dauert ein Anfall wenige Minuten. Hält er länger an als zehn Minuten, so könne man von einem Status epilepticus sprechen, aus dem der Hund oder die Katze unter Umständen nicht selbst wieder herauskommt. Dann braucht das Tier sofort Hilfe.
Bei primärer Epilepsie entscheidet die Schwere und Häufigkeit der Anfälle darüber, ob das Tier Medikamente bekommt. Nebenwirkungen und Nutzen müssen abgewogen werden. Dennoch gilt: „Je länger die Epilepsie unbehandelt ist, desto schwerer ist es, sie in den Griff zu bekommen“, erklärt Prof. Andrea Fischer.
Epilepsie ist nicht heilbar. Therapien mit Medikamenten helfen, die Tiere von den Krämpfen zu befreien oder die Anfälle abzuschwächen. Jedoch sprechen nicht alle Hunde auf das erste Medikament an. Aktuelle Studien zeigen, dass sie bei 15 bis 20 Prozent der Hunde nicht wirken. Zudem brauchen Tierbesitzer für die Behandlung Geduld. „Es kann mehrere Wochen dauern, bis man die Medikamente richtig eingestellt hat“, erklärt Tierarzt Thomas Steidl.
Betroffene Tiere brauchen vor allem Aufmerksamkeit. „Aufmerksame Halter erkennen häufig, wenn sich ein Anfall ankündigt“, erzählt Thomas Steidl. Manche Tiere verhalten sich Stunden oder sogar Tage vorher auffällig. Tierhalter sollten dann dafür sorgen, dass sich die Tiere während des Anfalls nicht verletzen können. Zudem gibt es Notfallmedikamente, die sie verabreichen können. Erkrankte Tiere sollten generell gefährliche Situationen wie Schwimmen vermeiden, rät Andrea Fischer.
Ansonsten sei es für die richtige Diagnose und Behandlung wichtig, die Anfälle zu dokumentieren. „Ich habe ein Anfallstagebuch, mehrere Videos und ein Therapietagebuch“, erzählt Sabine Ballin. Dadurch habe sie verstanden, in welchen Situationen Fussel zu Anfällen neigt. Sie hat für ihre Hunde einen Weg gefunden. Rowdy hat keine Anfälle mehr. Fussel hatte im vergangenen Jahr nur zwei kleine Anfälle, erzählt Ballin. 2011 waren es noch zehn. „Er ist auf einem guten Weg.“