Keine Solisten: Kanarienvögel brauchen Artgenossen
Bonn (dpa/tmn) - Wer einen ruhigen Zimmerbewohner sucht, liegt beim Kanarienvogel falsch. Denn vor allem Männchen ölen schon am frühen Morgen ihre Stimmbänder. Und am liebsten singen die Tiere mehrstimmig: Alleine sollten sie deshalb nicht gehalten werden.
Sie sind kleiner als Wellensittiche, aber machen dies durch Stimmumfang wett. Kanarienvögel werden oft als die Tenöre unter den Ziervögeln bezeichnet. Doch die Haltung der meist quittengelb oder grellorange gefiederten Tiere ist sehr anspruchsvoll - vor allem, weil sie unbedingt einen Partner und jede Menge Platz brauchen.
Kanarienvögel sind sehr lebhaft, doch erst die richtige Ausstattung, ausgewogenes und vitaminreiches Futter sowie eine artgerechte Haltung sorgen dafür, dass sich die Tiere wohlfühlen und lange gesund bleiben. „Die Nahrung von Kanarienvögeln sollte aus einer Körnermischung, Obst, Gemüse und verschiedenen Pflanzen wie Vogelmiere, Löwenzahn oder Spinat bestehen“, sagt Henriette Mackensen von der Akademie für Tierschutz in Neubiberg bei München. Außerdem dürfen Mineralstoffe und proteinhaltiges Futter nicht fehlen.
„Als Hauptfutter eignen sich täglich etwa 10 bis 15 Gramm Körner und Sämereien, zum Beispiel als Kanarienmischfutter“, sagt Mackensen. Dazu gegebenes Grünfutter wie Obst, Blätter und Salat sollte frisch, ungespritzt und gewaschen sein. Als Ergänzungsfutter sind gekeimte Körner zu empfehlen, beispielsweise Weizen und Hafer. „Dazu brauchen die Tiere täglich frisches Trinkwasser.“
Weil Kanarienvögel gesellige Tiere sind, sollten sie niemals alleine gehalten werden. Erst mit Artgenossen zusammen fühlen sie sich richtig wohl, sagt Charlotte Köhler von der Tierrechtsorganisation Peta in Gerlingen in Baden-Württemberg. Die gemeinsame Haltung mehrerer Männchen könne aber in der Brutzeit problematisch werden. Die einfachste Variante ist deshalb, unterschiedliche Geschlechter zu halten. „So können die Tiere auch Partnerschaften eingehen.“
Köhler rät, Kanarienvögel aus dem Tierheim oder von einer Pflegestelle zu holen, weil sich die Vögel meistens gut kennen und untereinander vertragen. „Außerdem kann die Pflegestelle fundierte Tipps zu einer gut funktionierenden Gruppe geben.“ Wird für einen einzelnen Vogel ein Partner gesucht, sind ebenfalls Pflegestellen oder Tierheime gute Anlaufpunkte.
Im Vogelbauer sollten die Tiere so viel Platz wie möglich haben. „60 bis 80 Zentimeter für jeden Kanarienvogel ist das Minimum“, sagt Dietmar Steinmetz von der Bundestierärztekammer in Berlin. Ein Käfig, der nicht mehrere Flügelschläge zwischen einzelnen Sitzstangen ermögliche, sei nicht artgerecht. Weil handelsübliche Käfige laut Henriette Mackensen oft zu klein sind, empfiehlt sie, eine geräumige Zimmervoliere einzurichten. „Ideal wäre die Kombination mit einem zusätzlichen Außenraum, in dem die Vögel Sonne und frische Luft genießen können.“ Die Ausstattung eines Vogelbauers sollte dem, was Tiere in der Natur vorfinden, sehr nahekommen.
Deshalb dürfen Sitzstangen aus dicken Zweigen nicht fehlen, sagt Steinmetz. „Halter können außerdem kleine Trennwende anbringen, damit sich die Tiere verstecken oder zurückziehen können.“ Eine Schale mit täglich frischem Badewasser und ein kleiner Kalkstein zum Abwetzen des Schnabels gehören ebenfalls in den Käfig, ergänzt der Tierarzt. Von Spiegel oder Plastikvögeln rät Charlotte Köhler ab, weil dieses Zubehör unnatürlich sei und Verhaltensstörungen fördere.
Um Nachwuchs zu vermeiden, sollten Halter ihren Kanarienvögeln keine Nistplätze bereitstellen. „Legen die Tiere dennoch Eier, ist es ratsam, sie so früh wie möglich zu entnehmen und durch Kunststoffeier zu ersetzen“, sagt Köhler.
Kanarienvögel sollten täglich mehrere Stunden frei fliegen können. Halter sollten aber dabei sein, wenn das Tier die Voliere verlässt, sagt Steinmetz. „Sonst kann es beispielsweise passieren, dass der Vogel hinter einem Schrank landet und feststeckt.“
Werden Kanarienvögel artgerecht gehalten, können sie bis zu 14 Jahre alt werden. Wichtig ist zu erkennen, wenn es dem Tier nicht gut geht. „Kranke Kanarienvögel fliegen kaum noch, werden ruhiger und plustern sich auf“, sagt Dietmar Steinmetz. Hören sie dann auch noch auf zu fressen oder ist ihr Aftergefieder mit Kot verklebt, sei es höchste Zeit, einen Tierarzt aufzusuchen.
Auch Vogelmilben kämen häufig vor. Hinweise darauf seien neben dem ständigen Kratzen auch ein übermäßiges Schlafbedürfnis. „Milben und Parasiten saugen den Tieren das Blut aus und schwächen so ihr Immunsystem“, sagt Steinmetz.