Staunend über Stufen und Steine: Kletterkurs für Pferde
Herbstein (dpa) - In Deutschland gibt es eine neue Reitsport-Disziplin: Klettern für Pferde, „Extreme Trail“ genannt. Inzwischen gibt es in Deutschland mehrere Anlagen mit diesem Angebot - eine davon liegt im hessischen Vogelsbergkreis.
Cruzado ist ein Profi. Treppen steigen? Für das Pferd scheinbar kein Problem. Auf einer Art bodennahem Schwebebalken die Balance halten? Eine Kleinigkeit. In aller Ruhe über eine kippelige Wippe und eine wackelige Hängebrücke trotten? Da zuckt der Schecke noch nicht mal mit einem Ohr. Andrea Baumbach weiß, worauf es ankommt, wenn ein Vierbeiner solche Übungen absolviert. „Hier zählt das Vertrauen und der Mut des Pferdes“, sagt die Heil- und Sonderpädagogin. Sie hat mit ihrem Mann Hardy im vergangenen Jahr auf einer 18 000 Quadratmeter großen Wiese in Herbstein im hessischen Vogelsbergkreis einen Kletterkurs für Pferde gebaut - nach ihren Angaben war es damals das europaweit erste Angebot dieser Art. Mittlerweile gibt es in Deutschland zwei weitere dieser Anlagen.
Das Schwierige an diesem Kurs: Pferde stammen aus der Steppe - Treppen, Brücken, Wippen & Co. sind ihnen daher von Natur aus unheimlich. Und als Fluchttiere wollen sie vorsichtshalber lieber abhauen, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Wie seltsam ein Laien-Pferd diese Hindernisse findet, ist bei dem Englischen Vollblüter Mister X gut zu sehen. Er ist das erste Mal auf diesem Kurs, mit großen Augen steht er vor einer Treppe mit flachen Stufen. Kurs-Anfänger wie er gehen zunächst ohne Reiter über die Hindernisse, der Mensch steht in einigem Abstand neben ihnen - in diesem Fall ist es der 55-jährige Hardy Baumbach.
Er hat einen langen Strick am Halfter des Pferdes befestigt und zieht das Tier leicht in die gewünschte Richtung. Will es den Stufen ausweichen und zu ihm kommen, wedelt er mit dem anderem Strickende und treibt es so von sich weg. Er bewegt sich ruhig und auch nur, wenn es unbedingt sein muss. „Der Mensch soll für das Pferd die Leitstute sein, Ruhe und Souveränität ausstrahlen“, sagt der Kaufmann. „Weniger ist mehr“, sei im Umgang mit Pferden die Devise. Diese „unterhalten“ sich untereinander fast ausschließlich über Körpersprache, entsprechend gut und genau beobachten sie auch den Menschen.
Im „Extreme Trail Park“ der Baumbachs sollen sie Balance, Körpergefühl und Koordination schulen. Im Idealfall trotten sie ruhig und konzentriert durch und über die Hindernisse, ihr menschlicher Begleiter hält sich möglichst zurück. Die Idee dieses Parks stammt laut Baumbach von dem amerikanischen Westernreiter Mark Bolender. „Wir haben ihn vor zwei Jahren auf einem Video gesehen und waren begeistert“, erinnert sich Andrea Baumbach. Sie nahmen Kontakt auf, flogen zu ihm in die USA. Schnell kam die Idee eines eigenen „Extreme Trail Parks“ auf - ein passendes Grundstück hatten sie schon. Bolender entwarf die Hindernisse, ein befreundeter Landschaftsgärtner baute sie. Einen fünfstelligen Betrag gab das Ehepaar nach eigenen Angaben für den Park mit den über 25 Hindernissen aus. Mittlerweile haben sie die „German Extreme Trail Association“ gegründet und Lehrgänge sowie Turniere mit etwa 40 Teilnehmern veranstaltet. Wer den Kletterkurs nutzt, muss etwas bezahlen, ein Training mit Aufsicht kostet beispielsweise 25 Euro.
„Wir sind nicht auf Pferderassen oder Reitweisen festgelegt, zu uns kommen alle“, sagt die 47-jährige Andrea Baumbach. Kleine Isländer waren schon zu Gast, auch ein riesiges Shire Horse trottete bereits über die Hängebrücke. „Das“ schwierigste Hindernis gibt es nicht - jedes Pferd ist anders. Manche haben Angst vor Wasser oder fürchten sich vor der kippenden Wippe - andere Vierbeiner finden genau das prima. Der Kurs ist zwar körperlich wenig anstrengend, doch der Kopf des Pferdes ist gefordert. Die Tiere müssen sich konzentrieren, nachdenken und entscheiden, wo sie ihre Hufe gleich hinsetzen. Auch Mister X ist am Ende der Rundstrecke mental platt, er hat jetzt keine Lust mehr. Doch das letzte Hindernis - zwei große Stufen auf dem Weg zum Ausgang - kraxelt er souverän herunter. Nach zwei Stunden Kletterkurs scheint das für ihn ein Klacks zu sein.
„Beim Wanderreitern muss man immer mal steile Hänge rauf und runter, über Baumstämme reiten oder durch Furten“, sagt Arno Klöser vom hessischen Landesverband der deutschen Freizeitreiter-Vereinigung VFD. Wenn Pferde so etwas schon mal geübt hätten, sei dies sinnvoll. Je besser das Tier wisse, wie es sich in welcher Situation bewegen müsse, desto sicherer sei letztlich auch das Reiten.